Von den Malediven in den Oman

Die Ansteuerung des äußeren Ankerplatzes mit größeren Tiefen ist problemlos, um die seichten Liegeplätze zwischen den Riffen anzusteuern sollte man den passenden Sonnenstand abwarten. Wir haben Glück – Hans Jörg von der „Chenoa“ weiß um unsere Ankunft und lotst „Sleipnir2“ mit dem Dinghy durch die Untiefen auf eine sechs Meter tiefe Stelle mit gut haltendem Sandgrund.
„Sleipnir2“ schwebt wie schwerelos über den heckseitigen Korallenbänken, die im Licht des Vollmondes und im spiegelglatten Wasser zum Greifen nahe scheinen – kitschiger geht es nicht mehr, und die Bordfrau strahlt mit dem Mond um die Wette.

Eine Schule Mantas nähert sich am Morgen unserem Kat, und wir können die an der Oberfläche schwimmenden Rochen sehr genau beobachten, für ein garantiert großartiges Schnorchelerlebnis ist es uns noch zu früh am Tag.

Leider ist die Euphorie über unseren Aufenthalt im nördlichsten Atoll der Malediven nur von kurzer Dauer. Mehr und mehr Yachten scheinen von dem in Thailand organisierten, sogenannten „Superkonvoi“ mehr oder weniger offiziell abzuspringen und sich einem anderen – etwa drei Wochen früher auslaufenden – Konvoi anzuschließen. Wir sehen uns mit dem Risiko konfrontiert, relativ spät in der Saison in Salalah/Oman anzukommen und – mangels Teilnehmer – ohne professionell geführter Gruppe durch den Golf von Aden segeln zu müssen.
Nach einigen Mails mit Tom, dem Koordinator der ersten Rallye (ein pensioniertes Mitglied der Royal Air Force), wechseln auch wir die Seiten und kürzen somit unseren Maledivenaufenthalt erheblich ab. Ein Tagesausflug zu drei anderen Inseln und ein gemeinsames Dinner der vor Anker liegenden Yachten am Strand von Uligan sind eher entbehrliche Programmpunkte während unseres Kurzaufenthaltes.

So heißt es für uns „plus ultra“ (wie der gichtige Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging, zu sagen pflegte), und gemeinsam mit Hans Jörg, Tina und ihren beiden Söhnen Marvin und Noah von der schweizer Yacht „Chenoa“ nehmen wir die etwa 1.250 nm über das Arabische Meer in Angriff.
Mehrere Staaten raten offiziell von der Passage von den Malediven direkt in den Oman ab, nachdem sich die Mutterschiffe der Piraten, von denen mit Schnellbooten aus agiert wird, weit südöstlich in den Indischen Ozean verlagert haben – zumindest sollte man östlich von 060 Grad Ost bleiben bzw. 600 nm von der somalischen Küste Abstand halten.

In dem in Thailand von anderen Yachties gegründeten IO (Indian Ocean) – Net sind wir seit Dezember regelmäßig eingecheckt. Das SSB Netz betreut die Boote auf ihrem Weg durch den Indik bis ins Mittelmeer mit lokalen Informationen, Wetterberichten und Positionsmeldungen. Ab dem Arabischen Meer werden die Positionsmeldungen verschlüsselt über fiktiv gesetzte Wegpunkte, die nach Buchstaben des nautischen Alphabetes bezeichnet sind, durchgegeben und vom Net Controller in die tatsächliche Position umgerechnet. Jeweils drei Wegpunkte bilden eine Gruppe, die etwa für eine Woche Gültigkeit hat, anschließend wird auf eine andere Gruppe gewechselt. Distanz und Peilung zum jeweiligen Wegpunkt werden als Zahlenreihe durchgegeben, wobei zum Peilungswinkel 200 Grad als fixe Größe addiert werden:
„396 Sierra 255“ bedeutet 396 nm zum Wegpunkt Sierra mit einer Peilung von 55 Grad – das Schiff befindet sich allerdings tatsächlich 80 nm vor Salalah mit Zielkurs 295 Grad.
Manchen Seglern erscheint das System weit überzogen oder sogar lächerlich, und auch wir sind uns nicht ganz sicher, was wir davon halten sollen, tatsächlich werden in dieser Zeit von einigen Yachties irrwitzige und schwer nachvollziehbare Aktionen und Taktiken eingesetzt, um das Piratenrisiko in diesem Revier zu minimieren. Die Seglergemeinschaft macht sich mit Gerüchten, Meinungen und Einschätzungen verrückt, und wir bilden bestimmt keine Ausnahme…

Der Törn nach Salalah in den Oman erfordert viel Konsequenz und Arbeit an den Segeln, um „Chenoa“ und „Sleipnir2“ über diese lange Distanz stets in Sichtweite zu halten. Wir schaffen es aber und sind über zehn Tage nie mehr als 2 nm von einander entfernt. Nach Ausfall des automatischen Pinnenpiloten auf der „Chenoa“ wird ein Reserveautopilot von „Sleipnir2“ bei fünf Knoten Fahrt unter Segel mittels einer langen Trosse übergeben – insgesamt keine schlechte Leistung für zwei Boote aus Binnenländern.

Die letzten drei Tage sind die heikelsten, weil wir durch den Zielkurs bedingt näher an die somalische Küste segeln müssen, und die Anspannung an Bord beider Boote steigt unübersehbar. Schließlich kommen aber die Kräne des Kontainerhafens Salalah in Sicht, und wenig später erreichen wir die längst überfüllte Ankerzone der Yachten. Mehrere Dinghies kommen uns entgegen, um uns in die letzten verfügbaren Plätze einzuweisen, und bald zwängen wir „Sleipnir2“ mit Buganker zwischen zwei neuseeländische Boote und bringen überlange Festmacher zu den wenig einladenden Felsen aus.

Die Einklarierungsformalitäten im Oman müssen zwingend über einen Agenten abgewickelt werden – in Salalah übernimmt dies Mohammed, der in jeder Verfilmung einer Geschichte aus 1001 Nacht ungeschminkt mitspielen könnte. Er ist wirklich der einzige, der in seinem Chaos die Ruhe bewahrt – ein wenig zu viel Ruhe für übermüdete Segler nach mehr als 1200 nm durchs Arabische Meer. Er weiß um seine Unentbehrlichkeit – die Beamten sprechen kein Englisch, und die vielen verschiedenen Formulare in arabischer Schrift sehen alle gleich aus… Während des sich ewig hinziehenden Papierkrieges trinken Hans Jörg und Wolfgang wie Schuljungen heimliche die längst verdienten Biere – Wolfgang hat in weiser Voraussicht vorgesorgt…(im Oman gibt es offiziell keinen Alkohol)

Am nächsten Abend bekommen wir eine Lehrstunde hinsichtlich Hirarchie und Kräftemessen unterschiedlicher Institutionen im Hafenareal. Vermutlich aus reiner Willkür sieht ein Hafenpolizist „Sleipnir2“ und drei andere Boote zu nahe am Polizeipier und fordert uns wenig höflich zum Verholen des Schiffes auf. Wolfgang pilgert zwecks Klärung der Situation zum Port Captain, von dessen verglasten Bürowänden aus das gesamte Becken sehr gut zu übersehen ist. Der Mann ist freundlich und mit reichlich Goldstreifen dekoriert, jedoch offensichtlich arm an Kompetenz. Um Lässigkeit bemüht erklärt er Wolfgang, dass er ihm nicht vorschlagen möchte, wohin er sich mit dem Kat verlegen soll, sondern lediglich festlegt, wo er NICHT ankern darf. Der durch diese „Großzügigkeit“ verbleibende Raum würde kaum ausreichen, unser Dinghy zu parken, und so gehen wir letztlich längsseits an eine Dhau aus Bangladesch. Die Besatzung, die über Monate auf See lebt, wurde von Piraten entführt und vor kurzem freigelassen – im Hafen von Salalah dichten sie derzeit die Einschusslöcher an ihrem Boot ab… Am folgenden Tag müssen sowohl die Dhau als auch „Sleipnir2“ den Platz für ein britisches Kriegsschiff räumen – veranlasst durch wieder eine andere Behörde. Zumindest mit den Fischern aus Bangladesch schließen wir Freundschaft und spendieren ein paar Dosen Coca Cola, die ungemein geschätzt werden.

Mit der „Chenoa“-Crew mieten wir ein Auto – über Mohammed, wen sonst – und fahren nach Salalah, um uns zu verproviantieren. Während der Fahrt durch die Stadt bekommt der Begriff Streusiedlung eine völlig neue Bedeutung bzw. Dimension. Die scheinbar wahllos aus dem Wüstenboden gestampften, durchwegs modernen Bauten stehen über ein endloses Gelände verteilt, verbunden durch gut ausgebaute Straßen. Ein Stadtzentrum sucht man vergebens, aber dank terrestrischer navigatorischer Höchstleistung finden wir den Markt und ein pakistanisches Restaurant – wodurch wieder der Begriff „scharfe Speisen“ eine neue Dimension bekommt…
Am folgenden Tag unternehmen die Bordfrauen Tina und Evi mit dem Mietauto noch eine Erkundungstour in der näheren Umgebung, um einen besseren Eindruck vom arabischen Staat zu bekommen – die Dromedare vor den Kränen des Hafens geben in jedem Fall ein eigenwilliges Bild.
Über das Flair der verschleierten Frauen des Orients wollen wir in unserem Weblog aus dem Jemen noch berichten.

Um im Hafenwasser das Unterwasserschiff der Yachten für den bevorstehenden Konvoi zu reinigen, bedarf es einer amtlichen Genehmigung, die den ganzen Tag auf sich warten lässt. Eine Stunde vor der von „Major Tom“ angesetzten Vorbesprechung über den Ablauf des sogenannten MF (Mid-February) – Konvois bekommt jeder Skipper mit Stempel und Siegel versehen die Erlaubnis, eine halbe Stunde das Schiff zu reinigen – mehr Zeit wäre ohnehin nicht zur Verfügung gewesen.

Während des Briefings selbst wird der militärische Charakter des Unternehmens klar erkennbar, für die „Sleipnir2“-Crew kein Problem, da der Sicherheitsaspekt für uns absoluten Vorrang hat. Zur gleichen Zeit wickelt Mohammed die Ausklarierungsformalitäten für alle Yachten ab – man war auf einen langen Abend eingestellt, niemand wurde enttäuscht… Erst spät nach Mitternacht kommen wir in die Kojen, am nächsten Morgen wollen 27 Boote mit Seglern aus 17 Nationen die ca. 600 nm entlang der jemenitischen Küste nach Aden in Angriff nehmen – es wird für alle Beteiligten ein Erlebnis der besonderen Art.

Im Konvoi nach Aden

Der Brite Tom, ein ehemaliges Mitglied der Royal Air Force, hat diese Rallye wochenlang akribisch vorbereitet und führt als „Eagle Lead“ – Mittelschiff der ersten Formation – das „Unternehmen“. Die Position von „Sleipnir2“ ist an der Backbordseite der zweiten Reihe der letzten Gruppe, und so werden wir für die nächsten fünf Tage zu „Kestrel 6“.

Der Anrufkanal auf VHF ist mit einem Buchstaben aus dem nautischen Alphabet codiert und wird täglich gewechselt, zusätzlich gibt es einige Arbeitskanäle, die ebenfalls durch Buchstaben definiert sind. Eine Reihe von Richtlinien werden für den erfolgreichen Ablauf dieses sogenannten MF (Mid-February)-Konvois im Briefing festgelegt, die engen Abstände zwischen den Booten, aber auch zwischen den vier Gruppen werden vor allem nachts die größte Herausforderung für die Cruiser darstellen.

Obwohl es sich bei den Teilnehmern natürlich durchwegs um erfahrene Segler handelt, verwundert es ein wenig, dass das Ablegen so vieler Boote innerhalb des kleinräumigen Ankerplatzes ohne nennenswerte „Hoppalas“ abläuft. Vor dem Hafen sollten sich die Gruppen unter langsamer Fahrt formieren, und bald erleben wir die ersten, schwer nachvollziehbaren Koordinationsprobleme. Es dauert jedenfalls bis in die frühen Nachmittagsstunden, bis alle Positionen bezogen sind.
Völlig überraschend sehen wir uns mit Gegenstrom und Gegenwind konfrontiert, Bedingungen unter denen „Sleipnir2“ die vorgeschriebenen fünf Knoten Fahrt nicht halten kann. Glücklicherweise melden bald andere schwach motorisierte Boote Schwierigkeiten und bitten um Reduzierung der Geschwindigkeit, so bleiben wir zumindest am ersten Tag dank besserer Nerven unauffällig und freuen uns über den neu festgelegten Cruisingspeed von vier Knoten über Grund.

Schon während der ersten Nacht wird klar, dass allen Beteiligten in den nächsten Tagen viel Konzentration abverlangt werden wird, das Radarbild zeigt zumindest 15 Yachten in einem Radius von 1 nm – wir übernehmen daher unseren drei Stunden Wachrhythmus über 24 Stunden.
Da wir einen unverhältnismäßigen Ölverlust eines unserer beiden Yamaha-Motoren vermuten, erbitten wir kurzzeitige Speedreduktion, um zwecks Ölstandkontrolle die Maschinen abwechselnd laufen zu lassen. Es bewahrheiten sich – bedingt durch die hohe Tourenzahl – die befürchteten 100 ml Ölverlust in 24 Stunden. Eine Menge, die wir jeden Morgen ohne weitere Messungen automatisch bei laufenden Motoren nachfüllen, was bei höheren Umdrehungen unproblematischer ist als etwa im Leerlauf – in jedem Fall eine „heiße“ Angelegenheit.
Während des zweiten Tages wächst der Gegenstrom auf 1,5 Knoten an, und einige wenige der stärkeren Boote beginnen, ihren Unmut über das verzögerte Vorankommen zu äußern.
Die dänische „Chriann“ beschwert sich bei Tom über das Nichteinhalten der „vertraglich“ festgesetzten fünf Knoten und schlägt vor, die schwächeren Boote zurückzulassen – wir glauben unseren Ohren nicht zu trauen… Major Tom berichtigt, dass es sich um fünf Knoten durch das Wasser (und nicht über Grund) handelt und bekräftigt seinen Ehrgeiz, mit allen Schiffen heil in Aden ankommen zu wollen, aber wir haben ab diesem Zeitpunkt ein Feindbild – theoretisch vor uns. „Chriann“ sollte als „Kestrel 3“ unmittelbar vor uns fahren, der Däne zieht allerdings ständig kreuz und quer duch die Gruppe oder fällt – aus welchen Gründen auch immer – weit zurück und lässt jegliche Gruppendisziplin vermissen.

Die für mittags angesetzte Übung einer „Attack Formation“, die mit den Worten „Execute Excalibur“ eingeleitet wird und für den Ernstfall rasch bezogen werden soll, misslingt völlig. Nur Tom äußert sich zufrieden über den Ablauf, aber Yachten haben schließlich keinen Rückspiegel… Bereits am Abend des gleichen Tages ist der Konvoi mit dem ersten scheinbaren Angriff konfrontiert, der von völlig harmlosen Fischern „ausgeht“ – aber das weiß zu diesem Zeitpunkt natürlich niemand.

Ein großer Trawler nähert sich und wird von der ersten Gruppe („Eagle“) schon längere Zeit beobachtet. Plötzlich löst sich vom Trawler ein Speedboot und hält auf die nächstgelegene Yacht zu. Der Funkspruch der betroffenen Bordfrau klingt – verständlicherweise – alles andere als entspannt, und sehr schnell kommt Bewegung in die Gruppen. Im Zuge der allgemeinen Flucht („Attack Formation“ ubi est?) kann „Sleipnir2“ mit den zwei Außenbordern nicht mithalten, und eh wir uns versehen, befindet sich der Trawler samt Speedboot an unserer Steuerbordseite auf Kollisionskurs. Wolfgang schickt Evi unter Deck (nicht zum Kochen) und verweist die „Angreifer“ gestenreich auf sein durchlöchertes T-Shirt, die ebenfalls wenig ansehnliche Short und die Einfachheit unseres Kats. Wie auch immer, die Fischer verstehen, heben den Daumen, grinsen und ziehen ab – Adrenalin und Puls bauen sich bei der „Sleipnir2“-Crew aber nur sehr langsam ab…
Natürlich eine völlig harmlose Begegnung, aber wir haben einen Eindruck gewonnen, wie ein Übergriff erlebt werden könnte.

Bereits am späten Nachmittag des nächsten Tages bekommt die Kestrel-Gruppe nach dem Totalversager des Vorabends Gelegenheit, sich zu bewähren. Ein Schnellboot taucht in der achterlichen Kimm auf und ist bereits wenig später längsseits an „Kestrel 6“ – wen sonst? Innerhalb kürzester Zeit sind wir von unseren Gruppenmitgliedern umringt und abgeschirmt – wieder nur eine „Übung“, denn die Fischer erbitten lediglich Zigaretten und Getränke. Die Gefahr, dass die Kestrel-Yachten sich gegenseitig rammen, ist wohl die größte in diesem Moment.
Für Kurzweil ist jedenfalls gesorgt, und die australische Yacht „Sea Life“ („Kestrel 2“), die während des Briefings ihre Bereitschaft bekundet hat, gegebenenfalls Angreifer zu rammen, zeigt in dieser Situation, dass sie es durchaus ernst meint.

Der dritte Tag bringt endlich leichten Wind aus Süd und westsetzende Strömung. Die Hoffnung der „Sleipnir2“-Crew ab diesem Zeitpunkt die Motoren schonender (oder sogar alternierend) einsetzen zu können, erfüllt sich leider nicht. Tom sieht die Gelegenheit, verlorenes Terrain gutmachen zu können und setzt 5,5 Knoten Fahrt über Grund fest.
Langsam wird klar, dass unsere Treibstoffkalkulation nicht aufgehen wird – Berechnungen hin oder her, mehr als die 500 Liter in 21 zusätzlichen Kanistern hätten wir ohnehin nicht mitführen können, da wir im Cockpit zumindest den Zugang zu den Zündschlössern der Motoren und zur Gasflasche gewährleisten müssen.

Im Laufe dieses Tages werden die stressbedingten Verschleißerscheinungen der Segler immer deutlicher. Vor allem die Gruppenleader scheinen kaum Schlaf zu finden, und die Übermüdung zeigt sich in teilweise grotesken Funkgesprächen. Die Denkpausen, um halbwegs verständliche Sätze zu formulieren, werden immer länger, manch einer hat Mühe mit der eigenen Bootsbezeichnung, andere sprechen minutenlang mit dem falschen Partner oder wählen – legasthenisch bedingt – falsche Arbeitskanäle. Auch wir sind uns ab dem zweiten Tag nicht sicher, ob wir genug Kraft und Durchhaltevermögen bis Aden haben werden – aber das Schicksal „hilft“ uns diesbezüglich:
Am Morgen des vierten Tages müssen wir unsere Benzinknappheit endgültig eingestehen. „Eagle Lead“ stoppt den Konvoi, ein Dinghy wird zu Wasser gelassen, und 100 Liter Benzin werden von verschiedenen Schiffen in Kanistern für „Sleipnir2“ eingesammelt. Auch wenn etlichen Booten die Unterbrechung sehr gelegen kommt, um verschiedene Checks an den Maschinen durchzuführen, ist uns die Kollekte mehr als peinlich.

Murphy’s Law schlägt für uns an diesem Tag zu – nachdem wir wieder Fahrt aufnehmen wollen und die Drehzahl erhöhen, stirbt der Backbordmotor ab und lässt sich definitiv nicht mehr starten. Den Steuerbordmotor können wir seit dem ersten Tag ohnehin nur durch Kurzschließen in Gang bringen.
In dieser Situation erweist sich unser Nachbar „Kestrel 5“ als Retter. Die neuseeländische 70 Fuß Superyacht „Silver Fern“, die seit dem zweiten Tag die Attrappe eines Maschinengewehrs an Deck aufgebaut hat, ist laut eigener Aussage froh über ein bisschen „extra load“, da sie ihre Maschine die längste Zeit untertourig fährt. Wenig später gleitet „Sleipnir2“ im Schlepp völlig lautlos mit sechs Knoten durchs Wasser.

So lernen wir durch unsere Misere in weiterer Folge zwei außergewöhnliche Menschen und Segelfreaks kennen. Martha und Bryce haben sich während eines America’s Cup kennengelernt, waren an mehreren Kampagnen beteiligt, und Bryce befriedigt Wolfgangs Wissensdurst mit Insiderwissen aus erster Hand. Im Hauptberuf hatte Bryce eine Werkstatt für Supersportwagen. Nachdem die Firma an den Sohn übergeben wurde, war der Weg frei für ein Engagement im America’s Cup. In Auckland Harbour nahm er nach Rennen und Trainings die Super-Rennyachten in Schlepp – „Sleipnir2“ weiß sich also in guten Händen.
Russell Coutts lernte auf seinen Dinghies Regattasegeln, Dennis Connor und Brad Butterworth sind gute Freunde, und der Kreis um die Segellegende Sir Peter Blake ist ihm sehr vertraut – etwa so als würden Benni Raich oder Hermann Maier gelegentlich zum Skitratsch vorbeikommen.

Trotz unserer neuen, passiven Rolle halten wir den üblichen Wachrhythmus bei und können uns im Cockpit kaum bewegen – die geborgten „neuen“ Benzinkanister nehmen zu viel Platz in Anspruch…
In der zweiten Nachthälfte nähert sich bereits eingangs erwähnte „Chriann“ (alias „Kestrel 3“) gefährlich dem Schleppverband. Evis diesbezügliche Meldung wird von Wolfgang verharmlost. Evis nächste Warnung klingt sehr eindringlich, aber bis Wolfgang an Deck kommt, ist es zu spät für Nebelhorn oder Fender, es hilft nur noch gellendes Schreien. „Chriann“ (Namen der Crew verdrängt) ist offensichtlich eingeschlafen und dreht buchstäblich auf dem letzten Meter, unmittelbar vor unserem Steuerbordbug und dem Hanepot der Schleppleine, ab. Etwa eine Stunde später entschuldigt er sich bei einer völlig anderen, unbeteiligten Yacht…

Über VHF Funk erleben wir quasi live einen Piratenübergriff auf einen kleinen Frachter etwa 20 Seemeilen südlich unseres Standortes. Die Stimme des Kapitäns überschlägt sich geradezu am Funk, während das kontaktierte Kriegsschiff scheinbar gelangweilt und nüchtern Anweisungen erteilt. Der Frachter mit offensichtlich niedrigem Freibord hat unwahrscheinliches Glück:
Während die Piraten über Aluleitern das Schiff entern wollen, fällt einer der Angreifer ins Wasser und muss von seinen „Kollegen“ geborgen werden. In weiter Folge versagt der Außenborder des Speedboots, und letztlich werden die „unglücklichen“ Piraten von dem Kriegsschiff aufgegriffen.
Einen weiteren Überfall auf ein Containerschiff, ebenfalls unwesentlich südlich unserer Kurslinie, verfolgen wir tags darauf etwas angespannt wieder auf VHF. Die Besatzung kann den Angriff durch Einsatz von Wasserwerfern erfolgreich abwehren – der Konvoi ist auf jeden Fall wachgerüttelt, etwaiges Lachen bleibt ein wenig im Hals stecken.

Auch die letzte Nacht lässt keine Langeweile aufkommen. Gegen 01.00 morgens meldet „Eagle 2“ mehrere Fischerbojen und sieht sich unmittelbar darauf darin gefangen. Wenige Minuten später kommen gleiche Statements von „Eagle 6“ und einigen Booten der „Skyhawk“- und „Merlin“-Gruppe. Der Konvoi befindet sich offensichtlich zwischen weit ausgelegten Fischernetzen, und entsprechend vorgewarnt tastet sich „Silver Fern“ mit Anhang langsam unter Suchscheinwerfern weiter. Wir scheinen Glück zu haben, bis sich in den frühen Morgenstunden ein Netz im Steuerbordruder unseres Kats verfängt. Wolfgang muss mit Messer bewaffnet während der ersten Morgendämmerung ins Wasser, und es ist weniger die Temperatur, als vielmehr das tiefe Blau unter ihm dafür verantwortlich, dass er sofort hellwach ist. Durch den Muschelbewuchs an den Scharnieren sind aufgeschnittene Finger kaum zu vermeiden, und Blut im Wasser ist nicht gerade das, was man in dieser Situation braucht.

Am nächsten Vormittag laufen wir als vorletztes Schiff des schließlich doch erfolgreichen Konvois hundemüde in den Hafen von Aden ein, nachdem wir den Steuerbordmotor mit Hilfe eines Schraubenziehers gestartet haben – wir sind im Jemen. Nach einer ersten Erkundungstour durch Aden, das uns auf Anhieb gefällt, klingt der Tag an Bord der „Silver Fern“ in Bierlaune aus – mit sehr viel Bier…

Aden – Jemen

Dieses Prozedere wiederholt sich für jede Arbeitskraft, welche in den folgenden Tagen auf „Sleipnir2“ werkt, und wir kalkulieren dadurch eine bedingte Verzögerung von etwa einer Stunde fix in unsere Zeitplanung ein. Besonders der obligate Beamtenauflauf auf der Polizeistation, wo jedes Mal über unser Ansuchen wild gestikulierend und sehr emotional diskutiert wird (als beträfe es deren Antrag auf Gehaltserhöhung), bekommt mit zunehmender Routine Unterhaltungswert und ist eben Teil der arabischen Mentalität.

Omar Yuusuf behebt bald den Defekt am Steuerbordmotor, für das deutlich anspruchsvollere Problem der Backbordmaschine holt er am Nachmittag den Schiffselektriker Ramzy Hamed Al-Hamzy zu Hilfe. Ramzy spricht passables Englisch und wird nicht nur deshalb für die nächsten Tage unsere wichtigste Kontaktperson. Die beiden arbeiten bis in die Dunkelheit ohne Erfolg, wodurch wir zu spät zur Willkommensparty im Sailor’s Club erscheinen, ohne dadurch aber offensichtlich Wichtiges zu versäumen. Die noch etwas übermüdete „Konvoi-Familie“ sitzt tief in den Sesseln vor jeweils einer Dose Bier an trostlos leeren Tischen und lauscht wenig mitreißenden Ansprachen, zu denen sich einige Teilnehmer – vermutlich aus berufsbedingter Vergangenheit – scheinbar zwingend berufen fühlen.
Eine Dose Bier – ohne Glas serviert – kostet in dieser westlichen Enklave 4 US Dollar, um den gleichen Betrag isst die „Sleipnir2-Crew“ mit mehreren Getränken in einem jemenitischen Lokal authentisch zu Mittag. Die auf Zeitungspapier angerichteten Speisen werden in Fladenbrot eingewickelt und mit den Fingern gegessen, die Rechnung in arabischer Schrift wird ebenfalls mit Fingern übersetzt. Hinsichtlich unserer Motorenreparatur erscheint Ramzy am folgenden Morgen mit dem Mann, auf den wir lange gewartet haben: Samy, ein eher wortkarger Zeitgenosse, ist Spezialist für Yamaha Außenbordmotoren und lokalisiert den Defekt durch Ausschließungsverfahren an einer Cdi Einheit – eine verschweißte Black Box unterhalb des Schwungrades. Nachdem im Jemen fast ausschließlich 2-Takt Motoren in Gebrauch sind, wird es schwierig, den entsprechenden Ersatzteil aufzutreiben – man will aber das Möglichste versuchen. Am nächsten Tag ist Freitag und somit Feiertag im streng muslimischen Staat, und in der folgenden Nacht setzt strömender Regen die Stadt unter Wasser, legt die Stromversorgung lahm, wodurch Geschäfte und Werkstätten geschlossen bleiben.
Weitere Verzögerungen unserer scheinbar endlosen Motorentragödie sind mannigfaltig. Für die bereits erwähnten schriftlich einzureichenden Arbeitsbewilligungen wird, bedingt durch zeitweilige kurze Gebete der Beteiligten, viel Nervenstärke vom Europäer abverlangt – außerdem ist da noch die national verbreitete Sucht des Qat-Kauens, die von nahezu der gesamten männlichen bzw. etwa einem Drittel der weiblichen Bevölkerung gepflegt wird . Die Blätter des Kathstrauches (Catha Edulis) wirken angeblich stimulierend, steigern aber zumindest das allgemeine Wohlbefinden und werden mit etwas Wasser stundenlang gekaut, bis im Laufe des Nachmittags bei den Jemeniten der Eindruck entsteht, als verstecken sie einen Tischtennisball in ihren Backen. Die Anschaffung der Blätter ist nicht gerade billig, womöglich eine Erklärung für die doch bemerkenswerten Stundentarife unserer Mechaniker, in jeden Fall bekommt das Cockpit der „Sleipnir2“ durch das „Laub“ ein teilweise „herbstliches“ Flair.

Am fünften Tag unseres Aden-Aufenthaltes baut Samy die Cdi Einheit eines 40 PS 2-Takt Yamahamotors in die Backbordmaschine ein und improvisiert die Anschlüsse derart, dass wir endlich wieder den „Sound“ unseres Motors hören. Keine Ideallösung vor der Einfahrt in das berüchtigte Rote Meer, aber vor Ort offensichtlich der einzige, zumindest mittelfristige Weg aus unserem Problem. Die anschließenden Preisvorstellungen von Ramzy drückt Evi auf die Hälfte, aus den Gesichtern der beiden zu schließen, zahlen wir natürlich immer noch einen entsprechenden Touristenaufschlag.

Es bleibt uns noch, den nicht mehr auf der Bildfläche erschienenen Omar Yuusuf auszuzahlen, der aber plötzlich von den eingangs vereinbarten Tarifen nichts mehr wissen will und sagenhaft überzogenen Forderungen stellt. Auf das übliche Palaver und Feilschen um einen für beide Seiten akzeptablen Preis lässt er sich nicht ein und beschwert sich in weiterer Folge bei der Polizei (!). Für die Vorladung auf der uns längst bekannten Station haben wir den inzwischen freundschaftlich verbundenen Fremdenführer von „Silver Fern“ und „Sleipnir2“ Hamzah Yassin als Dolmetscher mit uns. Hamzah empfiehlt uns Zurückhaltung, die Diskussion würde ohnehin zu unseren Gunsten verlaufen. Auch die Polizei empfindet Yuusufs Vorstellungen weit fern jeder Verhältnismäßigkeit, außerdem entspricht es eben nicht der orientalischen Mentalität, derartige Verhandlungen über die Polizei oder andere Dritte auszutragen. Diese Ansicht teilen auch alle anderen Jemeniten, die am Prince of Wales Pier mit den Yachties in den verschiedensten Bereichen „zusammenarbeiten“. Eine entsprechend geführte Preisverhandlung – kann durchaus auch ein kleinerer, harmloser Streit sein – ist eben Bestandteil eines Geschäfts- oder Verkaufsgesprächs in diesem Teil der Welt. Omar Yuusuf und der ihn vermutlich unglücklich beratende Agent Omar werden jedenfalls aus dem Hafengelände verbannt und werden nicht mehr gesehen – allerdings nicht bevor wir ihm den angemessenen Betrag ausgehändigt haben.

Einen weiteren Menschenauflauf verursachen wir beim Versuch, Benzin von der örtlichen Tankstelle zu bunkern. Die vorsorglich eingeholte Permission, den Treibstoff durch das Gate am Prince of Wales Pier zu transportieren, ist offensichtlich gegenstandslos, als wir tatsächlich – vielleicht etwas unorthodox (siehe Foto) – mit unseren Kanistern anrücken. Eine rasch anwachsende Menge an Locals diskutiert heftig unser Anliegen, verschiedene Beamte werden mit den allgegenwärtigen Handys kontaktiert, und für die beiden Nemsas (Österreicher) heißt es wieder einmal „inschallah“. Schließlich dürfen wir natürlich unter der Versicherung etlicher „no problems“ und einem obligaten Bakschisch passieren und versorgen uns recht mühsam mit mehr als 200 Litern Benzin in Kanistern.

Interessanter als die Querelen mit Omar Yuusuf oder die auf uns etwas unappetitlich wirkenden grüngefärbten Zähne durch das Qat-Kauen, erscheinen die verschleierten Frauen, die das Stadtbild prägen. Im Gegensatz zum Oman begegnen wir hier einer breiten weiblichen Bevölkerung in der Öffentlichkeit – die überwiegende Zahl von ihnen ist verschleiert. Durch den Niqad (Gesichtsschleier) und den meist als Halbkreis geschnittenen Tschador (schwarzes Tuch als Umhang getragen) zeigen die Frauen nur ihre – oft geschminkten – Augen, die dann entsprechend geheimnisvoll und erotisch wirken. So mancher männlicher Skipper – nicht so Wolfgang – fragt sich natürlich, was sich hinter der traditionellen islamischen Bekleidung verbergen mag, und unabhängig vom kulturell-religiösen Hintergrund (stammt ursprünglich aus der Beduinenkultur) wird zumindest für die Yachties das Interesse an der weiblichen Bevölkerung eher gesteigert.

Durch eine Einladung Hamzahs zum Abendessen haben wir das Glück, zusammen mit der „Silver Fern“-Crew, einen Eindruck von den privaten Verhältnisse im Jemen zu bekommen. Bedingt durch die Gäste Bryce und Wolfgang trägt Hamzahs Frau auch in der Wohnung den Niqad (ihr Gesicht darf sie nur ihrem Ehemann und den männlichen Familienmitgliedern enthüllen), aber die offen geführten Gespräche mit der gebildeten Frau geben einen sehr interessanten Einblick in das gesellschaftliche bzw. familiäre Alltagsleben im Land. Die Einsicht in die weiblichen Belange im Jemen fasziniert Evi ebenso wie die offensichtlich aufgeklärten Frau, die in der Argumentation durchaus ihren Standpunkt gegenüber Hamzah verteidigt – der Arme wirkt nicht immer glücklich… Natürlich ist es undenkbar, dass die Frau des Hauses von männlichen Besuchern – in welcher Form auch immer – körperlich berührt wird, was Wolfgang nicht von einem weiterenVersuch abhält, zum Abschied der Gastgeberin erneut die Hände zu schütteln – auch sonst lässt er an diesem Abend kaum einen sich bietenden Fauxpas aus.

Wie die meisten Bordfrauen akzeptiert auch Evi weitgehend die Regeln der islamischen Kultur und trägt zum Kopftuch, gänzlich angepasst, eine schwarze, knöchellange Abaya. Bei den diversen Dinghyfahrten erweist sich die Tracht allerdings wenig vorteilhaft, und so hört man Evi ungewohnt deutlich und lautstark fluchen – wenn das Übersteigen vom Schlauchboot auf den Pier zum Balanceakt wird, oder die „Verkleidung“ im Hafenwasser getränkt wird.

Mit Hamzah unternimmt sie eine Einkaufstour nach Arab-Town, einem Stadtteil von Aden, der von Touristen völlig verschont ist. Entsprechend muss sie damit zurechtkommen, wie ein Alien bestaunt zu werden – aber Hamzah erweist sich in dieser Situation als unbezahlbar und zeigt den richtigen Weg bei Preisfeilschereien oder durch den Bazar.
Mit dieser Unterstützung ersteht Evi drei der für den Jemen so typischen Janbiyas, deren Kauf für uns schon vor Beginn der Reise feststand. Manche Männer im Jemen tragen im Alltag diesen traditionellen Krummdolch bauchseitig an einem Gürtel. Bryce von der „Silver Fern“ versorgt sich bereits am zweiten Tag mit authentischer Kleidung inklusive Janbiya, wodurch er sogar bei Ankunft der Vasco da Gama Rallye vom jemenitischen Fernsehen als „segelndes Original“ interviewt wird. Die drei für uns so interessanten Souvenirs kosten letztlich weniger als einer der typischen Dolche, welcher uns im Shop am Prince of Wales Pier als „very special price only for you my friend – I want to make you happy…“ angeboten wurde – jetzt sind wir wirklich happy.

Innerhalb der ersten Woche verlassen die meisten Teilnehmer des Konvois den Hafen, warum und wohin ist uns nicht ganz klar, da der Wetterbericht deutlich Gegenwind im Golf von Aden und Nordwindlagen im südlichen Roten Meer vorhersagt. Die verbleibenden Schiffe rücken ein wenig näher zusammen, und wir beschließen letztlich zu gegebener Zeit mit Gerhard und Wilma von der „Aquila“ (ehemals „Merlin 6“) gemeinsam auszulaufen.
Gerhard hat als Wissenschaftler in der Raumfahrt gearbeitet, lässt sich scheinbar durch nichts aus der Ruhe bringen und analysiert messerscharf, dass der 5. März der geeignete Tag ist, um Richtung Rotes Meer aufzubrechen – ein Datum, das auch Wolfgang (etwas weniger wissenschaftlich) ins Auge gefasst hat. Am Freitag, den 5. März brechen die „Aquila“ und die „Sleipnir2“ zu einer der bemerkenswertesten Fahrten ihrer gesamten Reise auf.

Durch das Rote Meer

Am nächsten Morgen erreichen wir Bab-el-Mandeb, das Tor der Tränen, und somit die Einfahrt in das Rote Meer. Westlich von uns fährt ein Frachter der größeren Kategorie in Begleitung eines Kriegsschiffes in den Golf von Aden ein, während wir unter idealen Segelbedingungen mit knappem Abstand die Perim Islands mit deren Militärbasen passieren – ein bisschen zu knapp vielleicht.

Die vielzitierte ehemalige französische Kolonie Dschibuti lassen wir planmäßig auf Backbord liegen, auf Grund der ausgezeichneten Wetterlage verzichten wir auch auf einen Landfall in Eritrea, halten uns näher der jemenitischen Küste und in weiterer Folge in der Mitte des Roten Meeres – das Motto lautet: „Keep going!“ Nachts auf Höhe der Hanish Islands segeln wir am Rande des Verkehrstrennungsgebietes unter 35 Knoten platt vor dem Wind, mit ungewöhnlich hohen Wellen, die letztlich aber immer unter dem Kat durchlaufen und nie ins Cockpit steigen. Gemessen an dem relativ kurzen Fetch dürfte sich die See nicht derart aufbauen, aber hier klafft wieder einmal eine Lücke zwischen theoretischen Lehren und erlebter Praxis.

In den Neunziger Jahren wurden die Hanish Inseln sowohl von Eritrea als auch vom Jemen beansprucht und entsprechend umkämpft. 36 Stunden nachdem wir das Gebiet passiert haben, ereignen sich, genau entlang unseres Tracks, zwei Piratenüberfälle auf Containerschiffe – wieder erfolglos wohlgemerkt.
Jeden Morgen, nachdem wir über eine österreichische (!) Pactor-Station den Wetterbericht einholen, können wir unser Glück kaum fassen. Ein stabiles Tief über Eritrea und ein stationäres Hoch über Saudi Arabien bescheren uns anhaltende Südwindlagen, so streichen wir auch den Sudan aus unserem „Besichtigungsprogramm“ und versuchen direkt den für Ägypten empfohlenen Einklarierungshafen Port Ghalib zu erreichen.

Die Abstimmung von „Aquila“ und „Sleipnir2“ erweist sich als aufwendig, da die Segeleigenschaften der beiden Boote auf verschiedenen Kursen und bei unterschiedlichen Windstärken sehr differieren. Durch regelmäßige und rechtzeitige Absprachen bleiben wir aber über die gesamte Zeit in unmittelbarer Nähe – nahe genug um den Fang zweier Barrakudas auf der „Sleipnir2“ mitzuverfolgen. Dieser Fisch rangiert auf unserer Wunschliste eher weiter unten, für einen Befreiungsakt sind die Zähne des Tieres allerdings etwas zu gefährlich und der Handschuh nicht dick genug. Evi versteht sich aber darauf, auch dieses Fleisch mittels verschiedener Rezepte schmackhaft zuzubereiten.

Am siebenten Tag begleitet uns die größte Delphinschule unserer gesamten Reise über eine halbe Stunde lang, eine Zeitdauer, in der Evis Canon EOS 400D „heiß läuft“.

Nach mehr als 1000 nm nonstop durch das Rote Meer, einer Fahrt, die sich kaum alle zehn Jahre wiederholen wird, klarieren wir verhältnismäßig unkompliziert in Port Ghalib ein. Die Marina liegt inmitten eines mondänen, weitläufigen Hotelkomplexes und ist nicht vordergründig für Fahrtensegler eingerichtet – wir freuen uns dennoch auf erholsame Tage mit ausgezeichnetem Internetzugang.
Auf den Anblick der gestrandeten Yacht, die zwei Tage nach unserer Ankunft vom Riff südlich der Einfahrt zur Marina an Land gezogen wird, hätten wir gerne verzichtet.
Das europäische Preisniveau lässt uns trotz zahlreicher Restaurants weiter an der Bordküche festhalten, einzig die Happy Hour Biere im Pub, wo Wolfgang nach sehr langer Zeit wieder Fußballspiele auf Großbildschirmen verfolgen kann, werden zum täglichen Ritual.

Mit Wilma und Gerhard von der „Aquila“ unternimmt Evi einen Tagesausflug nach Luxor (inklusive Besichtigung der Tempelanlage von Karnak, einer Pferdekutschenfahrt und einer Bootsfahrt über den Nil) und in das Tal der Könige (im Programm die Gräber von Ramses III., VII. und IX., sowie der Terrassentempel der Königin Hatschepsut und die Memnon Kolosse). Für den zu erwartenden Andrang an Bettlern und den Forderungen nach Bakschisch aller Art ist die „Sleipnir2“-Bordfrau gut gerüstet. Wie aus einem Füllhorn verteilt Evi aus ihrem Rucksack verschiedenste Kleinigkeiten, wobei die Bittsteller mit den durchwegs kulinarischen Gaben, an Stelle der erwarteten Pfundnote, zufrieden scheinen. Wolfgang zieht die ruhige Marina-Atmosphäre vor, er war bereits vor mehr als 20 Jahren in Luxor, und die Tempelanlagen von Theben bestanden ja schon damals…

Ausgerechnet unsere „speziellen“ Freunde aus der Yachtszene, die „Neverland“ mit Skipper Alvin (Konflikt in Sri Lanka) und die dänische „Chriann“ (siehe Artikel über den MF-Konvoi), sind neben der „Aquila“ die einzigen Boote in Port Ghalib – durch die beständige Nordwindlage schließen auch zunächst keine weiteren Schiffe auf. Es vergehen zwei Wochen – zugegebenermaßen – bequemen Marinalebens, bis wir die moderatesten Wetterbedingungen seit unserer Ankunft nützen und zunächst gegen 15 Knoten Wind und kurze, steile Wellen nach Norden motoren. Die folgende Nacht verläuft ausgesprochen schwachwindig, und so erreichen wir am frühen Nachmittag des nächsten Tages unser Etappenziel, die Abu Tig Marina, nördlich von Hurghada.

Wir befinden uns vor der Einfahrt zum Golf von Suez und genießen abermals die Annehmlichkeiten einer Marina inmitten einer gepflegten Hotelanlage. Der nahegelegene Retortenort El Gouna scheint eher eine Expositur für die Kauflust der Urlaubsgäste zu sein – das eigentliche Ägypten bekommt hier jedenfalls niemand zu Gesicht…

Während der Betrachtung einer wirklich sehenswerten Bauchtanzvorführung mit ausgezeichneter Choreographie bleibt für Gerhard und Wolfgang die Zeit stehen, Evi filmt die bemerkenswerte Darbietung.
Hinsichtlich orientalischer Tanzkunst waren wir bislang nicht gerade verwöhnt: Eine Aufführung in Port Ghalib baute offensichtlich auf die geringe Erwartungshaltung der Gäste, und die Geduld und Toleranz des Publikums wurde auf eine harte Probe gestellt.

Mit günstigen Windprognosen verlassen wir mit „Aquila“ im ersten Tageslicht die Abu Tig Marina in der Hoffnung, möglichst weit nach Norden zu kommen. Nachdem wir die letzten schützenden Riffe im Süden der Straße von Gubal passiert haben, frischt der Wind aus Nordwesten deutlich auf. Innerhalb kürzester Zeit sind wir mit zwei Meter hohen Wellen in einer Frequenz von drei Sekunden (!) konfrontiert – wir quälen uns in den Schutz der Marsa Zeitiya an der Westküste des Golfs von Suez.

Nach drei Tagen des Wartens und vergeblichen Versuchen zumindest den nächsten besser geschützten Ankerplatz in El Tor 23 nm weiter nördlich zu erreichen, stellen sich „Aquila“ und „Sleipnir2“ auf einen längeren Aufenthalt in der Marsa (Bucht) ein. Vier Tage bläst es konstant mit 20 bis 38 Knoten: Wir setzen einen zweiten Anker, aktivieren den Ankeralarm und stellen den Warnton des Windmessers höher…

Der Landstrich gleicht einer Befestigungsanlage (Suezkrise, Sechstagekrieg) – die Südspitze der Halbinsel Sinai ist zum Greifen nahe -, an einem Betonpier liegen einige Schleppboote, und der günstigste Ankerbereich ist scheinbar mit Tonnen gesperrt.
Trotz Evis Hinweise auf die Sinnlosigkeit des Unterfangens, fährt Wolfgang in einer Flautenphase (20 Knoten Wind) mit dem Dinghy an Land, um sich nach dem besser geschützten, allerdings gesperrten Abschnitt der Bucht zu erkundigen.
Kaum angekommen, wird das Beiboot beschlagnahmt, er selbst festgehalten, und die Zahl herbeieilender Soldaten wächst schnell.
Nach etwa einer Stunde wird Wolfgang mit der Warnung „entlassen“, dass ein Landgang ein schweres Vergehen darstellt, den vermutlich unterbeschäftigten Ägyptern kommt die Abwechslung offensichtlich sehr entgegen, und man lässt Wolfgang nur ungern ziehen. Zurück an Bord ist Evis Mimik eindeutig zu interpretieren, aber Wolfgang ist eben eher ein „empirischer“ Typ.

Acht Tage sind wir am Boot gefangen, bis wir ein 30 Stunden Wetterfenster mit Südwindlagen nützen und uns 150 nm durch den dichten Schiffsverkehr nach Port Suez zittern. Der Südwind hält tatsächlich über mehr als einen Tag, variiert allerdings zwischen 0 und 40 Knoten – nach vielen Segelwechseln und nahezu ohne Schlaf erreichen wir am 11. April vormittags die völlig unspektakuläre Einfahrt zum Suezkanal und haben somit das Rote Meer endgültig bewältigt.
Unter Sturm im Bojenfeld des YC Suez können wir den Kat nicht gegen den Wind drehen, driften ab und müssen notankern.
Erst am Nachmittag gehen wir mit Bug- und Heckleinen an zwei Bojen – die Formalitäten für den Kanaltransit können beginnen.

Nie zuvor waren die Windvorhersagen der Gribfiles so unzutreffend wie im Golf von Suez. Besonders Gerhard von der „Aquila“, aber auch Wolfgang versuchen immer wieder, den Einfluss lokaler Gegebenheiten auf die Windsituation zu erahnen und einzuplanen bzw. einen gesetzmäßigen Faktor zu finden, mit dessen Hilfe die prognostizierten Windstärken zu multiplizieren sind – Ergebnisse und Erfolg waren sehr bescheiden.
Schon die charismatische Segellegende Bernard Moitessier stellte einst treffend fest: „Der Wind liest leider nicht die Pilot Charts…“.

Durch den Suezkanal nach Zypern

Ein halbes Jahrhundert nach Napoleon bekam schließlich Ferdinand de Lesseps eine Konzession für den Bau (1859 bis 1869), den er nach den Plänen des in Italien geborenen Österreichers Alois Negrelli realisierte.
Zur Eröffnungsfeier dieser Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer wurde übrigens nicht – wie vielfach angenommen – Aida (Uraufführung 1871 in Kairo), sondern Giuseppe Verdis Oper Rigoletto gespielt.

Wir warten weniger feierlich zunächst auf den Vermesser, dann – immer die Wetterlage des östlichen Mittelmeeres im Auge – auf den geeignetsten Termin für den Transit. Sobald Kriegsschiffe oder Unterseeboote den Kanal benützen, bleibt er für Privatyachten gesperrt, wodurch über der persönlichen Zeitplanung immer ein Damoklesschwert schwebt. Zum Leidwesen von Katamaranbesitzern werden die Kosten für den Transit nach Schiffsvolumen berechnet, für die „Sleipnir2“ schlägt sich das mit 225 US Dollar zu Buche. Bei der Einhebung diverser weiterer Gebühren sind die Ägypter weniger einfallsreich als vielmehr anmaßend und geldgierig.
Für die Abwicklung der Formalitäten arbeiten wir mit der Legende unter den hiesigen Agenten, dem „Prince of the Red Sea“, zusammen – Kapitän Heebi hat das Geschäft von seinem Vater übernommen und kann (bei ausreichender Toleranz und Nachsicht) als Schlitzohr bezeichnet werden.
Die zweifellos beträchtlichen Einnahmen seiner Agentur investiert er offenbar mit Vorliebe in neue Autos; Kleidung und vor allem sein Gebiss haben scheinbar geringeren Stellenwert…

Obwohl mit der arabischen Mentalität mittlerweile bestens vertraut, kommt Wolfgang mit den unverschämten, jeglicher Verhältnismäßigkeit entbehrenden Forderungen der Ägypter nach Bakschisch verschiedenster Art nicht zurecht. Innerhalb der ersten beiden Tage in Port Suez ergreift er wirklich jede sich bietende Gelegenheit zur Auseinandersetzung und hat somit bald das Personal des gesamten YC Suez gegen sich. In logischer Konsequenz macht man ihm das Leben im Yachtclub schwer. Die obligate Passkontrolle erfolgt bei ihm zweimal, manchmal dreimal am Tag, wobei der vermutlich nicht des Lesens mächtige „Beamte“ den Ausweis – verkehrt haltend – minutenlang begutachtet, um Wolfgang schließlich zu fragen, ob er Schweizer ist…
Von Evi und Gerhard (SY „Aquila“) entsprechend gebrieft, stellt der „unbalancierte“ „Sleipnir2“-Skipper sein Verhalten im Laufe der Zeit um und schließt gegen Ende des Aufenthaltes mit dem ein oder anderen Angestellten des YC fast noch Freundschaft – trotzdem werden sämtliche wesentlichen Gespräche hinsichtlich des Transits weiterhin sicherheitshalber von Evi geführt. Zumindest der Internetzugang im Yachtclub ist hervorragend und wird von den wartenden Yachties entsprechend genutzt.

Ein Abszess an Evis großer Zehe lässt uns nicht nur den bereits gebuchten Ausflug zu den Pyramiden und nach Kairo stornieren, sondern stellt darüber hinaus auch die Weiterfahrt in Frage. Wir kontaktieren unsere südsteirischen Freunde Sonja und Ramon, und Wolfgang bekommt von Ramon via Skype ärztlichen Beistand und klare Anweisungen hinsichtlich einer kleinen „Notoperation“ mit anschließender Penizilinkur. Nach einem durchaus gelungenen Eingriff präsentiert sich die „Sleipnir2“-Bordfrau nach wenigen Tagen wieder in Bestform, und wir mailen in die Südsteiermark ein herzliches Dankeschön.
Wir verproviantieren uns in Port Suez, verbringen launige Abende an Bord der „Aquila“ und der amerikanischen Yacht „Macy“ (die als „Kestrel Lead“ unser Referenzschiff während des Konvois war), bis wir am 16. April das erste Teilstück des Suezkanals in Angriff nehmen. Um 22.00 des Vorabends bekommen wir endgültig die Freigabe, dass am folgenden Tag kein Kriegsschiff durch den Kanal geht, und um 05.00 morgens wird der Lotse an Bord unseres Kats gebracht.

In Port Suez haben die den Kanal ein- bzw. ausfahrenden Containerriesen unseren Mooringplatz so knapp passiert, dass wir die Stimmen der Besatzungen hören konnten, jetzt in der Wasserstraße selbst überholen sie uns in einem Abstand von weniger als drei („Sleipnir2“-) Bootslängen – endlos hohe Schiffswände mit den Aufschriften der größten Reedereien wie Maersk, MSC, CMA – CGM oder Cosco in gigantischen Lettern.

Der Adviser steuert „Sleipnir2“ den ganzen Tag über, spricht kaum ein Wort Englisch und ist dadurch bedingt ein eher stiller Geselle – uns ist das durchaus angenehm. Insgesamt bekommen wir den Eindruck, dass für die „bescheiden“ und weniger komfortabel wirkende „Sleipnir2“ die zweite oder sogar dritte Garnitur von Piloten eingeteilt wird. Ein wesentlicher Vorteil für uns, da wir uns nicht mit sagenhaft anmaßenden Bakschisch-Forderungen wie die Skipper anderer Boote herumschlagen müssen, deren ohnehin überzogene Geldgeschenke teilweise mit Entrüstung und abfälligen Bemerkungen „gnadenhalber“ entgegengenommen werden.
Auch der obligate Stopp auf halber Strecke im YC Ismailia macht uns bald klar, dass es Zeit wird, das Land mit der großartigen Historie so schnell wie möglich zu verlassen.

Am folgenden Morgen kommt der neue Lotse an Bord, und wir gehen Anker auf für das zweite Teilstück nach Port Said. Kapitän Ramadan (vielleicht ein Spitzname?) spricht wirklich kein Wort Englisch, und seine Arbeit an der Pinne muss von uns überwacht werden, andernfalls kämen einige kleine Fischerboote zu Schaden – ja, im nördlichen Abschnitt des Suezkanals wird gefischt!
Evi überreicht ihr gut verschnürtes Geschenkpaket taktisch klug stets unmittelbar vor Ende des Transits – eine Vorgangsweise, die unseren Piloten kurz vor Port Said doch ein wenig beunruhigt, und wir ihm somit tatsächlich noch seine vermutlich einzige englische Phrase „Where is my present?“ entlocken.
Wenn der Adviser dem Pilotboot Unzufriedenheit avisiert, kann es durchaus vorkommen, dass die Yacht letztlich gerammt wird und kleine Schäden am Rumpf davonträgt. Das Übersteigen auf das längsgehende Lotsenboot erfordert aber Kapitän Ramadans ganze Aufmerksamkeit, so bleibt unsere Geschenktasche bis zuletzt ein „Paket Surprise“, und wir entschwinden unbehelligt im Schutz der mittlerweile nächtlichen Dunkelheit aus dem Hafen von Port Said.
Wir sind nach über zweieinhalb Jahren (!) wieder im Mittelmeer, aber der dichte Berufsschifffahrtsverkehr, die teilweise unbeleuchteten Fischerboote und die Ölplattformen fordern für die nächsten 30 Seemeilen unsere volle Konzentration.

Zwei ausgesprochen leichtwindige Tage später taucht die Küstenlandschaft Zyperns in der nördlichen Kimm auf, und wir steuern auf die kleine, geschichtsträchtige Stadt Paphos im Südwesten der seit 1974 geteilten Inseln zu. Über Funk vernehmen wir, dass der enge Hafen zum Bersten voll ist, aber Port Authority heißt uns dennoch herzlich willkommen, und nach einigen Sondierungsrunden quetschen wir uns an etlichen Booten vorbei und gehen längs an einen großen schwedischen Katamaran. Zypern, die drittgrößte Insel im Mittelmeer (nach Sizilien und Sardinien), gehört geographisch zu Asien, politisch aber zu Europa. Wir fühlen uns unabhängig davon zurück in der Alten Welt, die Preise auf den Speisekarten bestätigen uns dies eindrucksvoll…
Mit einem gemieteten Auto unternehmen wir Erkundungsfahrten entlang der Süd- und Westküste, genießen das mediterrane Flair und sehen die erste Giftschlange in freier Wildbahn im Rahmen unserer Reise – außerdem nützen wir den fahrbaren Untersatz, um Benzin, Proviant, griechischen Wein und Metaxa zu bunkern.

Allerorts stoßen wir auf Ausgrabungen antiker Bauwerke und Stadtteile aus der Zeit der Diadochen bis in die Periode der Römischen Herrschaft, fallweise auch aus dem Hochmittelalter und der frühen Neuzeit. Die Ruinen von Paphos sind nicht umsonst im Katalog des UNESCO Weltkulturerbes aufgelistet, und wir sind über teilweise ausgezeichnet erhaltene Mosaike erstaunt. Der Zugang zu den Ausgrabungsplätzen ist kaum reglementiert, und die antiken Stätten sind vielfach zu Fuß von unserem Liegeplatz aus erreichbar, sodass es Wolfgang oft schwerfällt, das Kulturprogramm mit plausiblen Argumenten etwas zu kürzen. In Neuseeland würde man angesichts dieser Jahrtausende alten Kulturgeschichte jedenfalls vor Neid erblassen.
Der aus der frühlingshaft blühenden Küstenlandschaft aufragende Leuchtturm fügt sich passend in das Ruinenareal ein, ist entgegen seinem äußeren Erscheinungsbild aber in Betrieb, und der gut ausgebaute Weg entlang des Meeres bietet sich für ein monatelang vernachlässigtes Lauftraining geradezu an – aller Wiederanfang ist schwer, sehr schwer…

In Zypern treffen wir auf einen anderen, für uns neuen Typus von Cruisern: Segler, die sich über Jahre im östlichen Mittelmeer aufhalten, größtenteils auf eine lange Erfahrung im Fahrtensegeln zurückblicken können, und – aus welchen Gründen auch immer – bemüht sind, uns dies unmissverständlich beweisen zu wollen. Wir hören atemberaubende Schilderungen von Stürmen, gigantischen Wellenbergen und Nahezu-Kenterungen, ohne dass ein Kommentar unsererseits vonnöten oder gar erwünscht wäre. So nicken wir erfurchtsvoll in passenden Abständen, streuen in eigentlich nicht vorhandenen Sprechpausen ein „incredible“ oder „unbelievable“ ein und freuen uns dennoch über neue Bekanntschaften.

Wir machen das Beste aus der konstanten West- und Nordwestwindlage und genießen unseren Aufenthalt in der gar nicht so kleinen und sehr touristischen Hafenstadt Paphos einige Tage länger, als ursprünglich geplant. Am 29. April hoffen wir durch ein kurzes Wetterfenster zwar unter Motor, aber zumindest mit Stützsegel, in die Türkei übersetzen zu können – in Skiunterwäsche, Fleecejacken und Ölzeug lösen wir mit dem ersten Tageslicht die Leinen.