Die Straße von Otranto und südliche Adria

Schneller als erwartet, bekommen wir eine Windprognose wie aus dem Bilderbuch und segeln tags darauf unter Spinnaker nach Brindisi, wo wir – wie schon zu Beginn unserer Reise vor fast drei Jahren – am Stadtkai längs festmachen.
Der hochgepriesene Köder aus Korinth wird auf diesem Schlag seinen Vorschusslorbeeren in gewisser Weise völlig gerecht: Zwar beißt kein Fisch im engeren Sinne an, dafür verfangen wir uns in einer Fischerleine an der bereits vier Brassen zappeln…
Die Mole Seno di Levante ist gleichsam die Abendpromenade der Stadtbevölkerung und leider durch zahlreiche Fähren, Wassertaxis, Schlepper und etwas abgehobene Motorbootfahrer stets einem gewissen Schwell ausgesetzt. Evi muss drei Anlegemanöver fahren, bis „Sleipnir2“ für alle zufriedenstellend „geparkt“ ist, aber das kann man einer frischgebackenen Weltumseglerin schon abverlangen.

Historisch gesehen bedeutsam, liegen wir vor dem Ende der Via Appia, sportlich entscheidend ist allerdings die Lage zweier Trattorias mit Großbildschirmen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Steiner Captain Fernglas würde ausreichen, die Spiele von Bord aus zu verfolgen, um die Italiener aber hautnah leiden zu sehen, muss Wolfgang unter das Volk.
Apropos Volk: eine Demonstration am Sonntag steht offenbar nicht in Zusammenhang mit den Leistungen der italienischen Fußballer, der tatsächliche Anlass der lautstarken Kundgebung bleibt uns letzlich verborgen.

Die Wetterlage in der Adria ist durch einen Trog mit Regen und Gewittern bestimmt, aber es gibt schlechtere Plätze, um abzuwarten. Wir liegen im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten der Aluminium-SY „Riela“, die mit ihren 56 Metern Länge zu den größeren Segelyachten dieser Welt zählt. Wenn ein Besanmast vier Salings aufweist, erübrigt sich normalerweise die Angabe weiterer Maße. Dass sie etwas breiter als „Sleipnir2“ lang ist, gibt aber dennoch eine eigenwillige Konstellation zwischen Mono- und Multihull.
Nachdem allerdings die Megayacht „Al Mirqal“, im Besitz des Emirs von Katar, Brindisi die Ehre erweist, bekommt auch die SY „Riela“ ihre Lektion in Verhältnismäßigkeit. Mit 133 Metern Länge nimmt die „Al Mirqal“ Platz 7 in der Liste der längsten Motoryachten ein, und innerhalb kürzester Zeit prägen Stretchlimousinen, Fernsehteams, Tieflader und sehr viel uniformiertes Personal das Bild am Stadtkai.

Auf der „Sleipnir2“ backen wir kleinere Brötchen. Kräftige Böen im Hafen zwingen uns trotz Regens das Sonnen/Regensegel abzuschlagen und den Kat mit zusätzlichen Festmachertrossen zu sichern.
Zwei Abende verbringen wir mit den sympathischen Salzburgern Christl und Robert, die mit ihrer Ferrozementyacht „Theopigi“ auf dem Weg zu den griechischen Inseln hier einen Zwischenstopp einlegen. Vor vielen Jahren sind auch sie eine Atlantikrunde gesegelt und haben abenteuerliche Fernreisen mit dem Auto unternommen, so geht der Gesprächsstoff kaum aus, und die Abende werden wieder einmal sehr lang…

Der wetterbedingte Zwangsaufenthalt in der Transitstadt weitet sich unerwartet aus, aber zunächst steht ohnehin sehr viel Arbeit an unserem Kat an, und die regelmäßig stattfindenden Events bringen Abwechslung in den Bordalltag.
Eine Oldtimer-Rallye, die von Rom startend entlang der ehemaligen Via Appia hier in Brindisi ihr Finale erlebt, bringt mit alten Ferraris, Maseratis und Alfa Romeos unüberhörbare Aktivitäten ins Straßenbild.
Der Hafenbereich vor „Sleipnir2“ wird für einige Tage zum Trainingsgelände einiger Ruderclubs (darunter auch eine reine Frauencrew), die in ihren schweren Ruderbooten verzweifelt versuchen, Abstimmung in das Chaos ihrer Riemen zu bringen. Zunächst sind wir amüsiert, letztlich ist aber ein großangelegter Wettbewerb Anlass für den ungewohnten Trainingsfleiß, und das Veranstaltungszelt steht formatfüllend unmittelbar vor unserem Liegeplatz – wir könnten die Pokale mit dem Bootshaken von Bord aus entwenden…
Eine aufwendig aufgezogene Modeschau im westlichen Hafenbecken enttäuscht die hochgesteckten Erwartungen – vielleicht etwas ungerechtfertigt, schließlich ist zumindest Wolfgang auf diesem Gebiet völlig unbedarft.

Wir genießen die wirklich seltene Konstellation von ausgezeichnetem Internetzugang zu sehr moderaten Tarifen und leiten somit die Übergangszeit in unser künftiges Leben in Wien ein. Quasi wie in festgesetzten Bürostunden organisieren wir den Wiedereinstieg, kontaktieren Versicherungen, stehen in Mailkontakt mit den Schulen, sondieren den Gebrauchtwagenmarkt und bereiten den Verkauf unseres Katamarans vor. In den vergangenen zehn Jahren hat „Sleipnir2“ unser Leben wesentlich beeinflusst, teilweise bestimmt, etwa viereinhalb Jahre haben wir auf dem Boot gelebt, 42 Länder (bei strenger Auslegung) bereist und sind knapp 45.000 Seemeilen gesegelt – jetzt ist leider die Zeit der Trennung. Eine von Emotionen geprägte Vernuftentscheidung.
Ein Verkausschild am Rumpf erweist sich als weniger glückliche Idee, weckt zu viel Interesse und wird von uns bald wieder entfernt. Etliche Passanten fühlen sich offenbar persönlich angesprochen, zweimal wird das Boot ungefragt betreten – einmal sogar während unserer Abwesenheit.

Ein Besuch des Marine Denkmals, gleichsam ein Wahrzeichen der Stadt, gibt einen fantastischen Blick über den Hafen und die leider immer noch rauen Bedingungen auf dem Meer. Wir bemühen uns dennoch, Brindisi zu entkommen und zumindest die italienische Ostküste entlangzufahren, scheitert aber kläglich. Fünf Stunden versuchen wir zu kreuzen oder unter Motor gegen Wind, Welle und Strömung Boden gut zu machen, aber gegen die Naturelemente kann und soll man nichts erzwingen. Das Ablaufen zurück in den Hafen kostet ein hohes Maß an mentaler Kraft. Dafür liegt mittlerweile die „Karo“ mit Karl und Roswitha am Stadtpier. Die beiden steirischen Fahrtensegler hätten wir schon vor drei Jahren während ihrer Atlantikrunde treffen sollen, durch unsere Rückkehr an die vertraute Mole Seno di Levante kommt es jetzt zum unerwarteten nautischen Erfahrungsaustausch.

Am 5. Juli starten wir einen weiteren Versuch, einer drohenden Einbürgerung in Brindisi zu entgehen und erreichen schließlich unter ermüdenden Wind- und Seegangsbedingungen Kroatien, genauer gesagt den Zollhafen Ubli auf Lastovo. Es ist die 218. und hoffentlich letzte Nachtfahrt dieser Reise um die Welt.