In der Ägäis

Insgesamt fünfmal (!) müssen wir uns während des Tages verlegen, nachdem die kleine „Sleipnir2“ raumfüllend den großen Kreuzfahrtschiffen und Frachtern das Manövrieren doch erschwert. Mit griechischer Gelassenheit gibt es keine Klagen seitens der Kapitäne, obwohl – entgegen unseres (sehr alten) Revierführers – das Ankern für Yachten in diesem Teil des Hafens nur mehr kurzfristig in Notsituationen erlaubt ist; es braucht nicht viel Phantasie eine solche vorzubringen. Wolfgang Hausner hätte in dieser Situation wohl gemeint: „Ich fühlte an meiner Pinne – sie schien mir ein wenig locker…“.

Zwischen den Ankermanövern bunkern wir um 350 Euro Benzin (1 Liter 95 Oktan kostet € 1,60 !!!) und klarieren wieder selbständig, ohne einen Agenten in Anspruch zu nehmen, ein – fast wäre dies schiefgegangen:
Der arrogante Beamte der Passpolizei meint lakonisch, Österreich und Deutschland, das sei ohnehin eines wie das andere. Wolfgang bemerkt ebenso lakonisch, dass er damit teilweise sogar recht hätte, schließlich erhält Griechenland im Rahmen der EU-Subventionen von beiden Ländern gleichermaßen hohe Geldsummen, um den bankrotten Staatshaushalt zu stützen. Wenn Blicke töten könnten, hätte sich Evi innerhalb von Sekunden selbst zur Witwe gemacht, aber der Mann dürfte verstanden haben und stempelt uns überraschenderweise ohne ein weiteres Wort zu verlieren zügig ab. Vor dem Besuch der Hafenkommandatur verpasst Evi ihrem Skipper allerdings sicherheitshalber einen Maulkorb…

Eine Yacht unmittelbar vor den Gebäuden der Hafenbehörden fällt besonders auf: dass sie unter österreichischer Flagge fährt, macht sie für uns noch ein wenig interessanter. Die „Carinthia VII“ wurde von Heidi Horten in Auftrag gegeben, nimmt mit 97,2 m Lüa (Länge über alles) Platz 19 in der Liste der längsten Motoryachten der Welt ein, und der Schätzwert beträgt etwa 100 Millionen Euro.
Es bleibt uns leider sehr wenig Zeit, die wirklich sehenswerte Stadt, welche allerdings durch die zahlreichen Kreuzfahrtschiffe sehr vom Tourismus geprägt ist und wohl auch dadurch ein entrücktes Preisniveau aufweist, zu besichtigen. Die Marina hat auch in der Vorsaison für einen kleinen Kat keinen Platz, und so brechen wir wieder einmal mit dem ersten Tageslicht auf, jetzt endgültig Kurs Symi.
Wir gehen davon aus, dass die Pedi Bucht ein idealer Ausgangspunkt ist, um den malerischen Hauptort zu Fuß oder mit dem Bus zu besuchen – weit gefehlt. Die Bucht wird von Insidern als „Teflon Bay“ bezeichnet, abgeleitet von der Pfannenbeschichtung – hier haftet eben auch der Anker sehr, sehr schlecht. Durch die heftigen Fallböen und schrallenden Winden geht „Sleipnir2“ innerhalb weniger Stunden zweimal auf Drift, bis wir im südlichsten Teil der Bucht auf 12 m Wassertiefe sicherer liegen. Wir befinden uns in guter Gesellschaft – es gibt kaum ein Boot, das nicht mindestens drei Ankermanöver fährt.

Hier treffen wir wieder auf eine internationale und überwiegend sehr sympathische Seglergemeinschaft, leider taucht aber doch gelegentlich der Typ des allwissenden Ostmittelmeer-Cruisers auf. Wir bekommen ungefragt Lehrstunden hinsichtlich des richtigen Ankerns, der Seemannschaft im Allgemeinen und erfahren endlich die wahren Hintergründe des Piratenwesens im Golf von Aden – eigentlich wollte man schon längst um die Welt segeln, es ist eben immer etwas dazwischen gekommen…
Auch Rod Heikell, Bibelautor zahlreicher Segelrevierführer, will man vor zwei Jahren hier geortet haben, um seinen „Griechenland“-Pilot auf den aktuellsten Stand zu bringen – dass wir mit ihm genau zu dieser Zeit im Pazifik unterwegs waren, wird ignoriert.

Apropos Piraten: ein guter Freund aus gemeinsamen Tagen in Neuseeland, der deutsche Einhandsegler Edmund Fritz, wird Anfang Mai im Roten Meer auf Höhe der Hanish Inseln überfallen. Die Seeräuber, die ihn mit Machinengewehren bedrohen, arbeiten schnell, und nach 15 Minuten segelt Edmund minus einiger hundert Dollar, einem GPS-Gerät und anderer Ausrüstungsgegenstände unverletzt und um eine Erfahrung reicher weiter… Trotzdem sind wir erschüttert!

Nach zwei wetterbedingt wenig erholsamen Nächten verlegen wir uns an einen verwaisten, halb fertiggestellten Pier und machen an den U-förmig in den Beton gegossenen, rostigen Stahldrähten fest. Der Fischer Theo versichert uns (mit der meistgehörten Phrase dieser Reise: „No problem“), man würde in den nächsten Wochen die Arbeiten hier nicht fortsetzen, das Geld wäre ausgegangen…

Evi verbessert ihr Griechisch mit jedem Tag, eine Sprache die sie vor (sehr) vielen Jahren annehmbar gesprochen hat. Der Zugang in der Landessprache bietet uns einen unschätzbaren Vorteil im Kontakt mit den Menschen des Dorfes, und häufig schallt uns schon morgens ein freundliches „jiá ßu“ von den Fischern entgegen.
Auch Wolfgang schwelgt in Erinnerungen längst vergangener Zeiten intensiven Windsurfens in Parga (im Ionischen Meer) und kramt nach Vokabeln, die für eine selbst jeder Grammatik entbehrenden Konversation aber kaum ausreichen.

Nach einer Woche windbedingten Wartens scheitern wir abermals an dem Versuch, durch eine Nachtfahrt möglichst ökonomisch Seemeilen nach Westen zu machen. Zwar segeln wir mit raumen Winden Richtung Kos, geraten allerdings in der ersten Nachthälfte, nachdem wir die Südspitze der Insel gerundet haben, in eines der schwersten Gewitter der gesamten Reise. Die Zugrichtung der Wetterstörung ist für uns zunächst nicht auszunehmen: Blitze scheinbar unausweichlich überall. Das Echo des Gewitters, das wir erst später am Radarschirm sehen, ist stärker als jenes der Inseln Kos – erst jetzt erkennen wir die Verlagerung und laufen nach Süden ab.
Um 02.00 morgens scheinen wir das Schlimmste überstanden zu haben und entschließen uns, doch noch unser ursprüngliches Ziel, die Insel Levitha, anzusteuern. In dieser Nacht finden wir keinen Schlaf, ziemlich ausgelaugt erreichen wir am nächsten Vormittag die in alle Richtungen geschützte Südbucht dieser „Ziegeninsel“, in der sogar Bojen ausgebracht wurden – den Rest des Tages bleiben wir allerdings in den Kojen…

Am nächsten Morgen liegt unmittelbar vor uns eine Legende unter den Segelrennyachten: die SY „Flyer“. Mit der von Sparkman & Stephens konstruierten „Flyer“ hat der Niederländer Cornelius van Rietschoten sein erstes „Whitebread Round the World Race“ gewonnen, die 65 Fuß Yacht wurde inzwischen um ein kleines Vermögen für das Fahrtensegeln adaptiert. Der gegenwärtige Eigner hält standesgemäß Abstand von einer Konversation mit der „Sleipnir2“-Crew, dafür winkt man uns von der benachbarten österreichischen Ketsch mit einem Exemplar von „Ocean7“ entgegen: „Seid ihr das? Dann kennen wir euch.“ In weiterer Folge verbringen wir mit Monika und Kristian einen sehr netten Abend und werden sogar zum Essen eingeladen. Die beiden genießen offenbar sehr entspannt die Vorsaison in diesem Revier auf ihrer „Cat Balu“, wenn die Ankerplätze dichter werden, fliegen sie wieder nach Österreich…

Mit den Auswirkungen von etwas zu viel Grappa brechen wir unter günstigeren Windprognosen auf und fahren über die Insel Dhenoussa, wo wir einsam und alleine ankern, nach Mykonos – partnerschaftlich hochtolerantes Touristenmekka in der Ägäis. Der Hauptort mit dem Wahrzeichen der Windmühlen von Kato Mill trieft geradezu vor griechischem Flair, abgesehen vom Preisniveau wird hier dem Klischee Hellas wohl am ehesten entsprochen.
Wir bleiben nur eine Nacht, bevor wir über Siros weiter nach Kithnos motorsegeln.
Die trostlos karge Insel Delos (der Geburtsort von Apollon und Artemis) lassen wir an Steuerbord liegen. Yachten dürfen hier ohnehin nicht vor Anker gehen. Kaum zu glauben, dass dieser unscheinbare Ort ein politisches und religiöses Zentrum der antiken Welt war – vermutlich bedingt durch die nautisch strategische Lage im Kreuzungspunkt der Handelsrouten.

Wie Monika (von der SY „Cat Balu“) treffend bemerkt, geht es in der Ägäis mit Westkurs meist „bergauf“, und so kämpfen wir uns nach Kithnos, wo wir den traumhaften Ankerplatz genießen: zwei Buchten werden nur durch eine Sandbank getrennt.
Zwei Tage später erreichen wir das belebte Poros, von dort motoren wir weiter nach Epidavros, unserem ersten Stopp auf dem Peloponnes – das antike Theater mit der exzellenten Akustik besuchen wir leider aus verschiedenen Gründen nicht.
Der letzte Ankerplatz in der Ägäis liegt unmittelbar hinter dem Kap Sousaki, drei Seemeilen vor dem Kanal von Korinth. Per Autostopp fahren wir zur Kanalzone – der Blick von einer der fünf Brücken (zusätzlich gibt es zwei absenkbare Brücken an beiden Einfahrten) in die 80 Meter tiefe Felsschlucht, die beim Bau des Kanals geschlagen wurde, ist schlichtweg Respekt einflößend. Der Grieche, den wir für die Rückfahrt zum Boot anhalten, verirrt sich hoffnungslos, aber nach einer halbstündigen Odyssee werden wir schließlich doch noch beim Dinghyanleger abgesetzt – er spielt die Bouzouki, liebt Wien und somit uns, Anhalter wird er vermutlich trotzdem nicht mehr so bald mitnehmen…

Am nächsten Morgen fahren wir durch die 1893 fertiggestellte, 3,2 Seemeilen lange, schnurgerade Wasserstraße und sind von dieser Perspektive nicht minder beeindruckt – ein Motor- oder Ruderschaden würde wohl ein interessantes Szenario heraufbeschwören… Die Gebühren für die Passage erleichtern die Bordkasse um 153 €, im Verhältnis zur Länge tatsächlich der teuerste Kanal der Welt (etwa der gleiche Tarif wie für die 87,5 nm durch den Suezkanal).
Bei einem Knoten Gegenstrom erreichen wir nach 45 Minuten den Golf von Korinth, haben die Ägäis somit endgültig verlassen und steuern den kleinen Hafen der geschichtsträchtigen Stadt an, die dem Golf seinen Namen gibt.