In der Türkei

Für den Liegeplatz ist das Einklarieren mittels Agenten obligat, ein Prozedere, welches sich eineinhalb Tage dahinschleppt und inklusive Visa die Bordkasse um € 100 erleichtert. Wie Evi schnell feststellt, weist die Abrechnung – insbesondere bei den Agenturhonoraren – einige Unregelmäßigkeiten auf. Der am Vortag um Smalltalk bemühte redselige junge Mann versteht darauf angesprochen plötzlich kein Wort mehr Englisch – im Vergleich zu Ägypten allerdings bestenfalls ein Lehrbubenstreich.

Dafür genießen wir die Annehmlichkeiten des Platzes und treffen eine Reihe alter Bekannter aus dem Indischen Ozean. Tagsüber arbeiten wir intensiv am Kat, abends genießen wir die Sundowner auf „Aquila“, „Sleipnir2“ oder auf der deutschen Stahlketsch „Vigo“, deren Crew Kurt und Bettina sich hier sehr gründlich auf einen langen Ausstieg vorbereiten.

Mit einer bestens versorgten „Sleipnir2“, dafür endgültig kaputtem Windmesser (Wolfgang versuchte diesen im Masttop zu reparieren…) fahren wir nur 18 nm weiter westlich in das Buchtensystem der Kekova Roads, an einen der malerischsten Ankerplätze seit sehr langer Zeit.
Zwei Tage lang besichtigen wir die Ruinen und steinernen Sarkophage der Lykier – ein Volk, das hier im Südwesten Kleinasiens bereits lange vor Alexander dem Großen mit eigener Sprache, Schrift und einer Kultur repräsentativer Grabstätten ansässig war.

Die Mauerreste und mächtigen Sarkophage stehen von Busch- und Graslandschaft überwuchert, völlig „unaufbereitet“, scheinbar achtlos entlang der Küste, teilweise zwischen den Häusern des Dorfes oder sogar im Wasser. Die Menschen leben – obwohl vom Tourismus geprägt – doch noch sehr ursprünglich inmitten der steinernen Zeugen ihrer antiken Vorfahren und spannen vermutlich eher selbstverständlich als pietätlos ihre Wäscheleinen zwischen Hausmauern und Sarkophagen.
Die Aussicht von der Burg der antiken Stadt Simena (das heutige Kaleköy) lässt Evis Kamera wieder einmal „heiß laufen“.

Unglaublich ist die Vielzahl der allgegenwärtigen Gulets, jener aus Holz gefertigten, meist zweimastigen Motorsegler, die bereits während der Vorsaison in den türkischen Küstengewässern mit Touristen cruisen. Viel Schweiß an Instandhaltungsarbeiten muss vergossen werden, um diesen Schiffstyp, der als Handelssegler bereits in der Antike gebaut wurde, in jenem großartigen Zustand zu erhalten, in dem sich die meisten der voluminösen Boote präsentieren.
Eine Gelegenheit noch einmal auf unseren äußerst umtriebigen Freund Ernst hinzuweisen, der seit 2009 mit der Gulet „Algarina“ in der Adria Segelcharter mit allem nur erdenklichen Komfort anbietet – siehe: www.globalyachting.at

Wir fahren weiter nach Kas, um dort den Nachmittag abzuwarten und dann, bedingt durch die Wetterlage, uns in einer Nachtfahrt nach Göcek zu „schummeln“.
Während dieser Etappe wird uns erstmals bewusst, wie sehr sich durch den Nordkurs der letzten Wochen das nächtliche Firmament gewandelt hat. Lange Zeit waren sowohl das Kreuz des Südens, als auch der Große Wagen und der Nordpolarstern unsere Begleiter und Wegweiser durch die Nächte. Das Kreuz des Südens ist längst nicht mehr zu sehen, der Nordpolarstern steht mittlerweile deutlich höher, die Kassiopeia ist noch nicht auszumachen.

Göcek ist eines der wesentlichen Charterzentren der Türkei, der gesamte Ort scheint hauptsächlich aus Marinas, Workshops, Chandleries und anderen maritimen Versorgungsstellen zu bestehen.

Seit Aden fahren wir den Steuerbordmotor dank improvisierter Reparatur mittels einer Cdi-Einheit eines 2-Takt Motors eigentlich überraschend problemfrei. Hier haben wir die Möglichkeit, über eine gut organisierte Yamaha-Werkstatt, die orginale Blackbox – quasi das Gehirn der Maschine – kurzfristig zu bestellen und einbauen zu lassen.
Unser Mechaniker ist begeisterter Motorradfahrer. Die Notwendigkeit ein Kleinteil zu besorgen gibt ihm eine willkommene Gelegenheit für eine Spritztour mit seiner Enduro – Wolfgang hätte er besser nicht dazu einladen sollen, ohne Helm wird es einer der riskantesten Ausflüge der letzten drei Jahre…
Trotz allgegenwärtiger, engagierter Sicherheitskräfte, die den Bewegungsraum um die Marinas doch einschränken, genießen wir den Aufenthalt und geben längst fällige kleine Näharbeiten in Auftrag.

Durch Internetrecherchen wissen wir um die sagenhaft hohen Benzinpreise im Land und haben bereits in Zypern vorgesorgt. Die € 1,90 pro Liter 95 Oktan Benzin dürften weltweit kaum zu überbieten sein – 1 Cent/Liter aus Venezuela geben, global betrachtet, doch eine bemerkenswerte Spanne bei den Treibstoffpreisen…
In einem zugegeben gut sortierten Kiosk entdecken wir den ersten Kurier seit – ja seit wie lange eigentlich? Wir erstehen das einzige Exemplar und sind letztlich ein wenig enttäuscht über die Berichterstattungen, die sich – abgesehen vom offensichtlichen Wechsel einiger „Persönlichlichkeiten“ und Akteure – wenig verändert haben.

Um aus der Türkei ordnungsgemäß auszuklarieren, verlegen wir uns in das südöstlich liegende Fethiye, einem Ort mit Charme und dem sehenswerten Telmessos Amphitheater.
Für die Behördenwege nehmen wir nur die notwendigsten Dienste einer Agentur in Anspruch und absolvieren den Papierkrieg bei Polizei, Zoll und Hafenkapitän geldsparend in Eigenregie – die wirklich groteske Arroganz einiger Beamten erleben wir eher als amüsante Unterhaltung.

Eine der vielen Buchten im Golf von Fethiye, der sich bereits in der Nebensaison als stark frequentiertes Charterrevier präsentiert (wie geht es hier wohl im Sommer zu?), ist unsere letzte Station in türkischen Gewässern, bevor wir Kurs auf die griechischen Inseln der Ägäis nehmen.
Für Evi war es der erste Besuch in der Türkei, Wolfgang war mit Freunden vor mehr als 25 Jahren zum Windsurfen hier. Damals hat man vor Cesme Quartier bezogen, wo der Meltemi durch die Akzeleration der vorgelagerten griechischen Insel Chios besonders stark und konstant bläst. 2010 versucht die „Sleipnir2“-Crew genau diese Düseneffekte zu vermeiden und zieht es vor, die Ägäis noch vor Eintreten des bekannten Schönwetterwindes (früher von den Griechen „Etesien“ genannt) zu queren – im Laufe eines Vierteljahrhunderts haben sich die Präferenzen gewandelt…