Durch das Rote Meer

Am nächsten Morgen erreichen wir Bab-el-Mandeb, das Tor der Tränen, und somit die Einfahrt in das Rote Meer. Westlich von uns fährt ein Frachter der größeren Kategorie in Begleitung eines Kriegsschiffes in den Golf von Aden ein, während wir unter idealen Segelbedingungen mit knappem Abstand die Perim Islands mit deren Militärbasen passieren – ein bisschen zu knapp vielleicht.

Die vielzitierte ehemalige französische Kolonie Dschibuti lassen wir planmäßig auf Backbord liegen, auf Grund der ausgezeichneten Wetterlage verzichten wir auch auf einen Landfall in Eritrea, halten uns näher der jemenitischen Küste und in weiterer Folge in der Mitte des Roten Meeres – das Motto lautet: „Keep going!“ Nachts auf Höhe der Hanish Islands segeln wir am Rande des Verkehrstrennungsgebietes unter 35 Knoten platt vor dem Wind, mit ungewöhnlich hohen Wellen, die letztlich aber immer unter dem Kat durchlaufen und nie ins Cockpit steigen. Gemessen an dem relativ kurzen Fetch dürfte sich die See nicht derart aufbauen, aber hier klafft wieder einmal eine Lücke zwischen theoretischen Lehren und erlebter Praxis.

In den Neunziger Jahren wurden die Hanish Inseln sowohl von Eritrea als auch vom Jemen beansprucht und entsprechend umkämpft. 36 Stunden nachdem wir das Gebiet passiert haben, ereignen sich, genau entlang unseres Tracks, zwei Piratenüberfälle auf Containerschiffe – wieder erfolglos wohlgemerkt.
Jeden Morgen, nachdem wir über eine österreichische (!) Pactor-Station den Wetterbericht einholen, können wir unser Glück kaum fassen. Ein stabiles Tief über Eritrea und ein stationäres Hoch über Saudi Arabien bescheren uns anhaltende Südwindlagen, so streichen wir auch den Sudan aus unserem „Besichtigungsprogramm“ und versuchen direkt den für Ägypten empfohlenen Einklarierungshafen Port Ghalib zu erreichen.

Die Abstimmung von „Aquila“ und „Sleipnir2“ erweist sich als aufwendig, da die Segeleigenschaften der beiden Boote auf verschiedenen Kursen und bei unterschiedlichen Windstärken sehr differieren. Durch regelmäßige und rechtzeitige Absprachen bleiben wir aber über die gesamte Zeit in unmittelbarer Nähe – nahe genug um den Fang zweier Barrakudas auf der „Sleipnir2“ mitzuverfolgen. Dieser Fisch rangiert auf unserer Wunschliste eher weiter unten, für einen Befreiungsakt sind die Zähne des Tieres allerdings etwas zu gefährlich und der Handschuh nicht dick genug. Evi versteht sich aber darauf, auch dieses Fleisch mittels verschiedener Rezepte schmackhaft zuzubereiten.

Am siebenten Tag begleitet uns die größte Delphinschule unserer gesamten Reise über eine halbe Stunde lang, eine Zeitdauer, in der Evis Canon EOS 400D „heiß läuft“.

Nach mehr als 1000 nm nonstop durch das Rote Meer, einer Fahrt, die sich kaum alle zehn Jahre wiederholen wird, klarieren wir verhältnismäßig unkompliziert in Port Ghalib ein. Die Marina liegt inmitten eines mondänen, weitläufigen Hotelkomplexes und ist nicht vordergründig für Fahrtensegler eingerichtet – wir freuen uns dennoch auf erholsame Tage mit ausgezeichnetem Internetzugang.
Auf den Anblick der gestrandeten Yacht, die zwei Tage nach unserer Ankunft vom Riff südlich der Einfahrt zur Marina an Land gezogen wird, hätten wir gerne verzichtet.
Das europäische Preisniveau lässt uns trotz zahlreicher Restaurants weiter an der Bordküche festhalten, einzig die Happy Hour Biere im Pub, wo Wolfgang nach sehr langer Zeit wieder Fußballspiele auf Großbildschirmen verfolgen kann, werden zum täglichen Ritual.

Mit Wilma und Gerhard von der „Aquila“ unternimmt Evi einen Tagesausflug nach Luxor (inklusive Besichtigung der Tempelanlage von Karnak, einer Pferdekutschenfahrt und einer Bootsfahrt über den Nil) und in das Tal der Könige (im Programm die Gräber von Ramses III., VII. und IX., sowie der Terrassentempel der Königin Hatschepsut und die Memnon Kolosse). Für den zu erwartenden Andrang an Bettlern und den Forderungen nach Bakschisch aller Art ist die „Sleipnir2“-Bordfrau gut gerüstet. Wie aus einem Füllhorn verteilt Evi aus ihrem Rucksack verschiedenste Kleinigkeiten, wobei die Bittsteller mit den durchwegs kulinarischen Gaben, an Stelle der erwarteten Pfundnote, zufrieden scheinen. Wolfgang zieht die ruhige Marina-Atmosphäre vor, er war bereits vor mehr als 20 Jahren in Luxor, und die Tempelanlagen von Theben bestanden ja schon damals…

Ausgerechnet unsere „speziellen“ Freunde aus der Yachtszene, die „Neverland“ mit Skipper Alvin (Konflikt in Sri Lanka) und die dänische „Chriann“ (siehe Artikel über den MF-Konvoi), sind neben der „Aquila“ die einzigen Boote in Port Ghalib – durch die beständige Nordwindlage schließen auch zunächst keine weiteren Schiffe auf. Es vergehen zwei Wochen – zugegebenermaßen – bequemen Marinalebens, bis wir die moderatesten Wetterbedingungen seit unserer Ankunft nützen und zunächst gegen 15 Knoten Wind und kurze, steile Wellen nach Norden motoren. Die folgende Nacht verläuft ausgesprochen schwachwindig, und so erreichen wir am frühen Nachmittag des nächsten Tages unser Etappenziel, die Abu Tig Marina, nördlich von Hurghada.

Wir befinden uns vor der Einfahrt zum Golf von Suez und genießen abermals die Annehmlichkeiten einer Marina inmitten einer gepflegten Hotelanlage. Der nahegelegene Retortenort El Gouna scheint eher eine Expositur für die Kauflust der Urlaubsgäste zu sein – das eigentliche Ägypten bekommt hier jedenfalls niemand zu Gesicht…

Während der Betrachtung einer wirklich sehenswerten Bauchtanzvorführung mit ausgezeichneter Choreographie bleibt für Gerhard und Wolfgang die Zeit stehen, Evi filmt die bemerkenswerte Darbietung.
Hinsichtlich orientalischer Tanzkunst waren wir bislang nicht gerade verwöhnt: Eine Aufführung in Port Ghalib baute offensichtlich auf die geringe Erwartungshaltung der Gäste, und die Geduld und Toleranz des Publikums wurde auf eine harte Probe gestellt.

Mit günstigen Windprognosen verlassen wir mit „Aquila“ im ersten Tageslicht die Abu Tig Marina in der Hoffnung, möglichst weit nach Norden zu kommen. Nachdem wir die letzten schützenden Riffe im Süden der Straße von Gubal passiert haben, frischt der Wind aus Nordwesten deutlich auf. Innerhalb kürzester Zeit sind wir mit zwei Meter hohen Wellen in einer Frequenz von drei Sekunden (!) konfrontiert – wir quälen uns in den Schutz der Marsa Zeitiya an der Westküste des Golfs von Suez.

Nach drei Tagen des Wartens und vergeblichen Versuchen zumindest den nächsten besser geschützten Ankerplatz in El Tor 23 nm weiter nördlich zu erreichen, stellen sich „Aquila“ und „Sleipnir2“ auf einen längeren Aufenthalt in der Marsa (Bucht) ein. Vier Tage bläst es konstant mit 20 bis 38 Knoten: Wir setzen einen zweiten Anker, aktivieren den Ankeralarm und stellen den Warnton des Windmessers höher…

Der Landstrich gleicht einer Befestigungsanlage (Suezkrise, Sechstagekrieg) – die Südspitze der Halbinsel Sinai ist zum Greifen nahe -, an einem Betonpier liegen einige Schleppboote, und der günstigste Ankerbereich ist scheinbar mit Tonnen gesperrt.
Trotz Evis Hinweise auf die Sinnlosigkeit des Unterfangens, fährt Wolfgang in einer Flautenphase (20 Knoten Wind) mit dem Dinghy an Land, um sich nach dem besser geschützten, allerdings gesperrten Abschnitt der Bucht zu erkundigen.
Kaum angekommen, wird das Beiboot beschlagnahmt, er selbst festgehalten, und die Zahl herbeieilender Soldaten wächst schnell.
Nach etwa einer Stunde wird Wolfgang mit der Warnung „entlassen“, dass ein Landgang ein schweres Vergehen darstellt, den vermutlich unterbeschäftigten Ägyptern kommt die Abwechslung offensichtlich sehr entgegen, und man lässt Wolfgang nur ungern ziehen. Zurück an Bord ist Evis Mimik eindeutig zu interpretieren, aber Wolfgang ist eben eher ein „empirischer“ Typ.

Acht Tage sind wir am Boot gefangen, bis wir ein 30 Stunden Wetterfenster mit Südwindlagen nützen und uns 150 nm durch den dichten Schiffsverkehr nach Port Suez zittern. Der Südwind hält tatsächlich über mehr als einen Tag, variiert allerdings zwischen 0 und 40 Knoten – nach vielen Segelwechseln und nahezu ohne Schlaf erreichen wir am 11. April vormittags die völlig unspektakuläre Einfahrt zum Suezkanal und haben somit das Rote Meer endgültig bewältigt.
Unter Sturm im Bojenfeld des YC Suez können wir den Kat nicht gegen den Wind drehen, driften ab und müssen notankern.
Erst am Nachmittag gehen wir mit Bug- und Heckleinen an zwei Bojen – die Formalitäten für den Kanaltransit können beginnen.

Nie zuvor waren die Windvorhersagen der Gribfiles so unzutreffend wie im Golf von Suez. Besonders Gerhard von der „Aquila“, aber auch Wolfgang versuchen immer wieder, den Einfluss lokaler Gegebenheiten auf die Windsituation zu erahnen und einzuplanen bzw. einen gesetzmäßigen Faktor zu finden, mit dessen Hilfe die prognostizierten Windstärken zu multiplizieren sind – Ergebnisse und Erfolg waren sehr bescheiden.
Schon die charismatische Segellegende Bernard Moitessier stellte einst treffend fest: „Der Wind liest leider nicht die Pilot Charts…“.