Singapore

Wir verlassen die Marina mit dem ersten Tageslicht und fahren mit Schiebestrom entlang der südlichen Inshore Traffic Zone, um dann bei Raffles Lighthouse die Schifffahrtsroute zu queren. Faszinierend ist die Abgebrühtheit einiger Locals, die in kleinen Booten zwischen den Tankern fischen. Am nördlichen Rand der Singapore Strait arbeiten wir uns mühsam entlang der einzelnen Häfen und deren Reeden Richtung Raffles Marina.

Der ein- bzw. auslaufende Verkehr von den verschiedenen Ankerzonen der Frachter in das Fahrwasser, sowie die zahlreichen Schleppverbände erfordern eine konzentrierte Bootsführung, und die Stimmung auf „Sleipnir2“ ist daher ein wenig unentspannt… Entsprechende Wolkenformationen bauen sich über der Stadt auf, und wir müssen im Laufe des Nachmittags mit starken Gewittern rechnen, leider rückt die bereits in Sicht befindliche Marina durch die Gegenströmung kaum näher.
Keine 15 Minuten nachdem wir neben unserem „alten“ Freund und Trauzeugen „Galateia“–Wolfgang in der Marina festgemacht haben, entlädt sich das Gewitter direkt über dem Yachthafen. Ein Blitz schlägt in die nahe der Einfahrt liegende 62 Fuß Oyster „Sundancer 2“ ein, die nicht minder große Swan „Astra“ nebenan bekommt die Auswirkungen des Einschlags auch noch zu spüren. Für die Kosten der anstehenden Reparaturarbeiten an der Oyster (siehe Anhang) wird etwa der dreifache Wert unseres Kats veranschlagt…

Die Raffles Marina erfüllt unsere hochgesteckten Erwartungen, und um € 16 pro Tag nutzen wir ein Luxusresort mit thermalbadähnlicher Poollandschaft, Whirlpool, Fitness Raum, Bar, Restaurant und vielem mehr. Die automatische Klospülung und täglich ans Schiff ausgetragene Tageszeitungen erscheinen uns doch ein wenig überzogen, aber durch die Konkurrenz der – wie Pilze aus dem Boden schießenden – malaysischen Billigmarinas, liest das Personal den Seglern jeden Wunsch von den Augen ab, und den € 50 Voucher für das Restaurant nehmen wir wohlwollend an.

Den Aufenthalt in der multikulturellen „Löwenstadt“ (als Wahrzeichen Singapores gilt der Merlion – ein Fabelwesen mit einem Löwenkopf und einem Fischkörper) nutzen wir für Reparatur- und Wartungsarbeiten am Boot, darüber hinaus besichtigen wir natürlich als „normale“ Touristen die pulsierende Geschäftsstadt, in der die Zukunft offensichtlich schon begonnen hat. Der Stadtstaat präsentiert sich bereits weit im 21. Jahrhundert, viele Bereiche sind elektronisch gesteuert und laufen im Zeitraffer ab, Kameras scheinen allgegenwärtig, und die orwellsche Steuerung des Menschenstroms von 4,8 Millionen Einwohnern gibt doch sehr zu denken.
Schon die Benutzung der Schnellbahn MRT (Mass Rapid Transit) überfordert Wolfgangs Auffassungsgabe in der hypermodernen Metropole, und so trottet er – wie an einer unsichtbaren Leine – hinter Evi her, die das Stadtgeschehen offensichtlich besser im Griff zu haben scheint.
Während der Fahrten in der MRT sind wir meist die einzigen Kaukasier unter mehrheitlich Chinesen, sowie Malaien und Indern. Wir verspüren ein leicht beklemmendes Gefühl, Außenseiter zu sein und entwickeln plötzlich ein bis dato nicht bekanntes Einfühlungsvermögen für die mögliche Gefühlslage von Ausländern in Österreich. Tatsächlich kümmert sich aber kaum jemand um uns, da die meisten Fahrgäste sich die Zeit mit verschiedensten digitalen Spielen, Videos oder Musikclips auf winzigen Geräten vertreiben. Wolfgang erlebt jenen Tag, vor dem wohl vielen Menschen in gewisser Weise graut: Er bekommt einen Sitzplatz angeboten…

Diese „sauberste Stadt der Welt“ wird übrigens in sarkastischer Doppelbedeutung gerne als „the fine city“ bezeichnet, schon vergleichsweise geringe Vergehen können drakonische Strafen nach sich ziehen, und in keinem anderen Staat weltweit werden im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Todesurteile vollstreckt.

Im Rahmen einer eher nach Wolfgangs Zeitschema ablaufenden Flussfahrt durch das Stadtzentrum erkennen wir den deutschen Schauspieler Mario Adorf bei Dreharbeiten, anschließend flüchten wir uns in die eher vertraute Atmosphäre eines englischen Pubs, auf den Bildschirmen läuft eine Aufzeichnung aus der Premier League von Chelsea gegen Manchester United – auch in Singapore gibt es „Normalität“…

Die weihnachtlich dekorierte Orchard Road ist Singapores Einkaufsstraße schlechthin – beim Besuch der ein oder anderen Shopping Mall entsteht leicht der Eindruck, dass das Geld hier abgeschafft wurde. An den Exponaten der Superlative von Juwelier-, Uhren- oder Modedesignern prangen keine Preisschilder, wer hier eintritt, kauft was gefällt und fragt nicht nach den Preisen – wir lassen standesgemäß unsere Tewa – Sandalen bei einem fahrenden Schuster am Straßenrand reparieren…

Nach der Besichtigung China Towns und Little Indias, ist Sonntag der passende Tag, um der Ferieninsel Sentosa einen Besuch abzustatten. Innerhalb unseres dichten Sightseeing Programms durch den Freizeitpark verschaffen wir uns einen Überblick am Skytower, fahren Go Kart und absolvieren die Koordinationübung mit den wirklich ungewohnten Segways (Zweirad mit Elektromotor und Lenkstange, das stehend durch Verlagerung des Körpergewichts gesteuert wird) unfallfrei.

Wolfgang sucht im Zuge des Singapore – Aufenthaltes einen Dermatologen auf, findet sich im Gesundheitswesen des 21./22. Jahrhunderts nur schwer zurecht und hat am Ende des Tages weniger Hautprobleme als eher ein Nervenleiden…
Eine bei der Aufnahme zugewiesene Referenznummer begleitet ihn auf dem Weg durch das Skin Centre. Die digitalen Anzeigetafeln von 8 verschiedenen Behandlungsräumen rufen im ca. 15 Minuten Takt die entsprechende Nummer auf, als die man dann auch fließbandähnlich durchgereicht wird. Diagnose und Medikation wird an die Apotheke im Erdgeschoss des Gebäudes per Computer durchgegeben, wo man sie nach Erscheinen der entsprechenden Referenznummer abholt und zur Zahlstelle weitergeleitet wird. Nach etwa einer Stunde wird ein staunender Patient mit einem Päckchen Arzneien in den Shuttlebus zu den öffentlichen Verkehrmitteln „ausgespuckt“. Alle Angestellten inklusive Shuttlebusfahrer tragen Mundschutz, wodurch das ohnehin schwer verständliche, geflüsterte Englisch der Chinesen zur Farce wird – „Can you repeat, please“…

Am Weg durch Indonesien hat unser stets anfälliger Laptop endgültig seinen Dienst quittiert. Wir nutzen das gigantische Angebot dieses Shoppingparadieses für elektronische Geräte und erstehen nach tagelanger Sondierung ein Notebook und ein Netbook. Evi installiert in den folgenden vier Tagen sämtliche Programme auf die neuen Geräte und bekommt für die aufwendige Arbeit einen Platz in der noblen Lounge für Superyachten zur Verfügung gestellt. Nahezu ohne Fremdhilfe meistert sie Hürde um Hürde und vertieft sich in die rätselhafte Welt der Computer. Der Respekt der anderen Yachties ist ihr sicher – der des Computer-Analphabetens Wolfgang sowieso.

Wolfgang überwacht währenddessen das Service des elektrischen Autopiloten, die Reparatur des Kühlaggregats und den Aus- bzw. Einbau der Yamaha-Motoren. Nach den intensiven Motoreinsätzen durch Indonesien haben wir ein empfindlich teures 1000 Stunden Service in Auftrag gegeben, in dessen Rahmen die Maschinen komplett zerlegt werden.

Zwischen den Arbeiten entspannen wir uns im Whirlpool oder finden uns pünktlich zur Happy Hour in der Bar ein. Wolfgangs Besuch des Kraftraums führt zu einem Muskelkater und zum anschließenden Ausfall des Bewegungsapparates – Therapie Whirlpool… Die Sonne bekommen wir während unseres Singapore-Zwischenspiels kaum zu Gesicht – sie sollte längst wieder südlich von uns stehen – dafür regnet es täglich, und so wollen wir bald durch die Malacca Strait nach Norden unter den blauen Himmel Thailands.

Anmerkung: Oyster – britische Nobelwerft in Ipswich, die ohne Verkaufskampagne auskommt…