Isla de Margarita bis Islas de Aves

In Tortuga sind die Ankerfelder weiträumig. Eine Handvoll Yachten verteilen sich in riesigen Buchten mit türkisblauem Wasser vor endlos weißen Stränden. Im Mondlicht ist die Farbe des Wassers und der weiße Strand schlichtweg wie im Seehandbuch beschrieben: breathtaking.

Wir tauschen bei den Fischern Zigaretten und Rum gegen Langusten, unternehmen ausgedehnte Strandspaziergänge und leben ein bisschen so, wie es dem Klischee einer solchen Reise vielleicht entsprechen mag. Evi intensiviert ihre fotographischen Ambitionen und ist immer öfter auf der Suche nach neuen Motiven und Ausschnitten, Wolfgang absolviert regelmäßiger sein selbstauferlegtes Sportprogramm um fortschreitenden Atrophien Einhalt zu gebieten.

Der Passat weht für drei Tage mit voller Stärke und sorgt dafür, dass sich sogar die Entlastung der Ankerkette verbiegt. Mit Beruhigung der Windverhältnisse nehmen wir Kurs auf die Inselgruppe Los Roques. Wie schon vor La Tortuga empfiehlt sich ein Barrakuda für den Speiseplan auf „Sleipnir2“. Evi hat mit dem besonders agilen Fisch schwer zu kämpfen und bereitet ihn dann mit Rezept à la Seenomaden in Erdnussbutter zu.

Bei der Ankunft in den Los Roques werden wir freudig winkend empfangen. James und Amelia von der Rahula sind nicht – wie erwartet – bereits in Bonaire, sondern haben noch auf einen Abstecher in diese Inselgruppe umgeplant. Wir haben sie bereits in den Kap Verden kennengelernt und waren die meiste Zeit in E-Mail Kontakt. Als Mitglieder der Royal Navy, Amelia ist Elektronik-Ingenieur, James Navigator, führen sie den Union Jack auf blauer Flagge. Ihr Katamaran – ein Richard Woods Design – hat einen ähnlichen Riss wie „Sleipnir2“, und ihre geplante Route entspricht weitgehend der unseren…
Wolfgangs Schilderungen seiner Tauchausbildung bei frühlingshaften 4 Grad Wassertemperatur im Attersee können James nicht aus der Reserve locken: er hat seine Ausbildung auf den Falklandinseln absolviert.

Die Inselgruppe der Los Roques stellt einen Höhepunkt unserer bisherigen Reise dar. Auf der Hauptinsel befindet sich ein kleines Dorf mit äußerst geschmackvollen Häusern, Evi sieht uns ein bisschen euphemistisch „zurück in der Zivilisation“. Nachdem wir den Canossagang der vier (!) Behörden für den Check-in absolviert haben, folgen wir Rahula zu den größtenteils einsamen Ankerbuchten auf den umliegenden Inseln. Der Reichtum und die Vielfalt der Fischbestände, die wir im kristallklaren Wasser beobachten können, sind gewaltig. Abends jagen Pelikanen in unmittelbarer Nähe unseres Ankerplatzes, indem sie sich in Schwärmen -Kamikazepiloten gleich – ins Wasser stürzen, im Hintergrund fliegt eine Gruppe von Flamingos und vor unserem Anker taucht eine Schildkröte auf. Wir erleben die intensivste Schnorchelphase unserer bisherigen Reise; Wolfgang wird von James – ein wenig gewöhnungsbedürftig – als „man with gills“ bezeichnet, hat aber jetzt endgültig seine Krise überwunden…

Während Rahula nach Bonaire weiterfährt, erforschen wir noch einige Tage die Los Roques über und unter Wasser, bis wir zu den Islas de Aves aufbrechen. Auf der Fahrt zu den Aves de Barlovento werden wir von einigen Regenfronten überquert, die uns teilweise kräftigen Westwind (!) bescheren – wir wähnen uns eher im Mittelmeer als auf der Passatroute. Zu allem Überfluss gibt die Kurzwellenanlage den Geist auf…

Während der Ansteuerung in die Aves de Barlovento klettert Wolfgang auf die Saling, um Evi den Weg durch die Riffe und Untiefen zum Ankerplatz zu weisen. Wir liegen als einziges Schiff weit und breit, das Geschrei hunderter Pelikane, Fregattvögel, Tölpel und Reiher „belebt“ die dichten Mangrovenwälder, und eine aufziehende Regenfront gibt dem Platz etwas zusätzlich Mystisches. Man kann es durchaus auch riechen: diese Insel gehört offensichtlich den Vögeln, und wir fühlen uns als Eindringlinge – Hitchcock lässt grüßen…
Wir stellen uns die Wecker um mit dem ersten Tageslicht nach Bonaire weiterzusegeln, eine entbehrliche Maßnahme – die Tiere sind der beste Weckdienst.